Freitag, Dezember 22, 2006
Big Brother is watching you...
(via Popkulturjunkie)
In einer atemberaubenden Frist von mehr als 21 Monaten wurde der nicht mehr existierende Sender MTV2 Pop von der Hamburger Anstalt für neue Medien (HAM) abgemahnt.
Hintergrund ist die Bestrafung einer Big Brother-Kandidatin für das Vergehen, Briefe in die Außenwelt des berühmten Containers geschmuggelt zu haben: sie wurde zehn Stunden lang in einem kahlen Raum eingesperrt (also innerhalb der Einsperrung noch einmal ... bei Donoso lernen wir, dass dies nirgendwo sonst enden kann als in der Auflösung des Subjekts). Und so eigesperrt wurde sie zehn Stunden lang mit dem gleichen Musiktitel beschallt. Ähnliche Strafen wären denkbar, etwa zehn Stunden lang Big Brother anzusehen. Eigentlich wurde sie auch nur dafür bestraft, etwas den voyeuristischen Blicken des Publikums entzogen zu haben: ihre Briefe an den Freund - denn jederzeit hätte es ihr freigestanden, ihm alles offen im TV mitzuteilen.
Wie diese Sequenz dramaturgisch eingebunden war, lässt sich jetzt nur noch schwer rekonstruieren. Wie es scheint, wurde ein ohnehin labiler Mensch (die Kandidatin schrieb Briefe an ihren Freund) in eine zusätzlich destabilisierende Situation gebracht, um authentische starke Emotionen zu produzieren. Diese führen im Idealfall zu empatischen Reaktionen (d.b. mit der Leidenden mitzufühlen), andererseits aber auch zu Schadenfreude zunächst bei den Mitbewohnern. Als Folge sollen die Zuschauer nun empatisch mit der Eingesperrten und den anderen fühlen, andererseits aber auch die Schadenfreude empfinden, weil es weder sie selbst noch ihren möglichen Favoriten im Spiel betrifft. Der Effekt ist, wie bei Aristoteles beschrieben, eine Mischung auf Eleos und Phobos (Mitleid und leichter Grusel, der daraus entsteht, sich selbst in die Situation hineinzudenken), Schadenfreude, letztlich Katharsis - der positive Nachgeschmack aus der "Reinigung" von diesen Gefühlen. Vergleiche mit Gladiatorenkämpfen oder öffentlichen Folterungen liegen auf der Hand.
Die Abmahnung bemängelte, dass diese Darstellung geeignet sei, Jugendliche unter 16 Jahren sozialethisch zu desorientieren. Meines Erachtens ist es pure Menschenverachtung und geeignet, jeden gesunden Menschen sozialethisch zu desorientieren. Das Angebot zu jeder Zeit das Spiel (um viel Geld) abzubrechen, ist dabei keine Option. Ob eine Ausstrahlung nach 22 Uhr etwas an der Tatsache ändert, ist also höchst fraglich. Eigentlich wähnte man sich über die Phase öffentlicher Folterungen hinweg, weil es ja genau dafür gesellschaftliche Einheiten gibt, die ein Auge darauf haben sollten.
Bedauerlich ist die lange Reaktionszeit der HAM. Jetzt ist diese Abmahnung weder geeignet ähnliche Fälle verhindert zu haben, noch ein funktionierendes Exempel zu statuieren. Wer mit menschenverachtenden Mitteln Quote machen will, hat jedwede Handhabe dazu.
Sonntag, Dezember 17, 2006
Englisch für Kinder im Alstertal und den Walddörfern
Optimal ist eine zweisprachige Erziehung, doch wenn man weder eine zweisprachige Partnerschaft noch ein fremdsprachiges Umfeld hat, ist diese so gut wie ausgeschlossen. Künstliche Zweisprachigkeit führt nicht nur in besonders emotionalen Situationen zu Problemen - wo den Eltern plötzlich die natürlichen Ausdrücke und vor allem die pragmalinguistischen Elemente fehlen. Die unnatürliche Situation führt in den meisten Fällen dazu, dass die Kinder das Spiel irgendwann nicht mehr mitspielen und selbständig ihre wirkliche Muttersprache lernen.
Anders ist es, wenn man das Spiel offen und ehrlich spielt und als Ausnahme kennzeichnet. Dies nutzen Spielsprachschulen wie Abrakadabra aus. Für Kinder von ca. 4-10 werden Sprach-Gruppen gebildet. Eine nette Spielleiterin oder ein Spielleiter kommt ins Haus oder den Kindergarten und spielt mit den Kindern - auf Englisch oder Französich oder Spanisch. Dabei werden ausschließlich erfahrene Pädagogen eingesetzt, Muttersprachler oder Mitarbeiter mit jahrelanger Auslandserfahrung und vor allem 100%iger Aussprache. Der Hintergrund ist die Immersionsmethode: statt eine künstliche Lernsituation zu schaffen, tauchen die Kinder, ohne darüber nachzudenken, in die Sprache ein. Der Effekt ist die Aktivierung des natürlichen Spracherwerbs. Kinder ahmen nach. Den Vorteil einer perfekten Aussprache kann ihnen später niemand mehr nehmen. Außerdem kann das Sprachenlernen in der Schule auf diesem Fundament aufbauen.
Abrakadabra ist jetzt nach jahrelang erfolgreicher Arbeit in Hamburg auch mit Spielgruppen auf Englisch, Spanisch und Französisch in Hamburgs Nordosten - der Nachbarschaft des dramaturgischen Kontors - vertreten. Abgedeckt werden seit kurzem das Alstertal (Sasel, Poppenbüttel, Wellingsbüttel) und die Walddörfer (Bergstedt, Volksdorf, Ohlstedt, Lemsahl/Mellingstedt, Duvenstedt) sowie umliegende Gebiete (z.B. Hummelsbüttel und Fuhlsbüttel).
>> Weitere Informationen unter (040) 415 435 87 oder http://www.spielsprachschule.de
Donnerstag, Dezember 14, 2006
Prototypisch gebloggt
Churchill sagte "trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast". Diese Statistik dagegen hat's erfasst. Nur einigermaßen trainiert bin ich... Aber ich bin ja auch noch "Katzenblogger" ;-)
Alarm für Cobra 11, RTL *ROTFPIMP*
>> Siehe auch Cippitelli, Claudia/Schwanebeck, Axel (Hrsg.): Das Mord(s)-Programm. Krimis und Action im Deutschen Fernsehen. Frankfurt a.M. 1998.
Dort heißt es auf Seite 135 über den verantwortlichen Redakteur Friedemann Beyer: „Dem Zeugen wird zur Last gelegt, mit dem RTL-Format Alarm für Cobra 11 alle erzählerischen Qualitäten des Genres zu Schrott gefahren zu haben.“
Donnerstag, November 23, 2006
Strategische Unternehmenskommunikation bei e.on
Eine Mitarbeiteren des Callcenters teilte mir mit, dass mein Zählerstand im August korrekt übermittelt und im System verbucht wurde. Augenscheinlich hat man ihn also bewusst ignoriert, um eine Schätzung vorzunehmen. Das ist die Ausgangslage.
Dem weiteren Text der Service-Mitarbeiterin war dann zu entnehmen, dass die Unternehmensstrategie darin besteht, die Diffenrenz auf keinen Fall auszuzahlen: als erstes spielte sie es herunter, es sei ja nicht viel Geld. Nach einer kurzen Rechnung stellte sie allerdings fest, dass dieses Argment für über 200 € nicht mehr uneingeschränkt gültig ist. Dann erklärte sie mir, dass diese Abrechnung ganz in meinem eigenen Interesse sei: da die Preise jetzt im November und dann in einem zweiten Schritt im Januar (auch wegen Mehrwertsteuer) um ca. 7% steigen, wäre ich durch die Schätzung absolut im Vorteil und hätte die einmalige Chance ca. 300m³ Gas zum alten, günstigeren Preis zu beziehen, wenn ich nur diese Abrechnung akzeptierte. Da in Callcentern für alle Fälle Kommunikationsvorgaben bestehen, damit kein schlecht ausgebildeter Mitarbeiter Bauchentscheidungen trifft, ist das also die Strategie.
Hier ist auf eine interessante Weise zu erschließen, wie die - nach Meinung der Verbraucherschützer absolut unbegründeten - Preiserhöhungen scheinbar dazu eingesetzt werden, nicht nur mehr Geld von den Kunden einzuziehen, sondern zunächst einmal möglichst schnell dieses Geld zu bekommen. Die Erhöhungen sind ein strategisches Mittel im Spiel mit den Verbrauchern: sie rechtfertigen das Einbehalten im Voraus geleisteter Zahlungen und sie ermöglichen es, die Verbraucher vollends zu verwirren, was wiederum den Verkauf von Garantieoptionen, die gegen eine relativ üppige Zahlung einen stabilen Gaspreis für ein Jahr garantieren, möglich macht. (Scott Adams spricht im "Dilbert-Prinzip" bei Energie- und Telefonieanbietern von einem "Konfusopol", weil es unmöglich ist, für den eigenen Bedarf das wirklich günstigste Angebot zu ermitteln.)
Sollten die Sammelklagen gegen die Erhöhungen Erfolg haben, geben Kunden, die sich darauf einlassen, einfach zinslosen Kredit. Sollten sie keinen Erfolg haben, ist der Kredit ohne Frage zinsgünstig, da es sich lediglich um Opportunitätskosten handelt (entgangene Erhöhung auf ein bestimmtes Volumen bei - angeblich - sinkenden Rohstoffpreisen).
Edit 01.12.06:
Im Hamburger-Abendblatt vom 21.11.06 ist zu lesen: "Vor wenigen Tagen kündigte das Unternehmen für Anfang 2007 erstmals wieder eine Preissenkung an". Das widerspricht den Aussagen der Hotlinerin und verwässert den angebotenen Deal. Solle man etwa damit rechnen, Prozesse zu verlieren und saftige Rückzahlungen leisten zu müssen?
Jedenfalls steht dort auch: "Die Verbraucherzentrale sieht die Geschäftspraxis kritisch." Ich habe mich entschieden, nicht auf Deals einzughen, sondern das Geld zu nehmen, denn wie sagte schon Max Estrella (als ihm das Gas abgedreht wurde, angeblich): "Más vale el gorrión en tus propias manos que la paloma en la mano del monopolio".
Freitag, November 17, 2006
Der allerbeste Studentenkredit
Im August habe ich den Zählerstand abgelesen und über das extra dafür eingerichtete Onlineformular an e.on geschickt. Zwei Wochen darauf war ich zuhause, weil sich der e.on-Ableser für die ganze Siedlung angemeldet hat. Geklingelt hat er nicht, warum auch, ich hatte den Zählerstand ja bereits übermittelt. Gut zwei Monate später hat e.on auch eine Abrechnung geschickt. Große Freude: es gibt 10 EUR zurück - sparsam geheizt. Allerdings errechnet sich dieses üppige Guthaben aus einer Schätzung (warum geschätzt wurde, weiß der Geier...), die satte 334 m³ über dem eigentlichen Verbrauch liegt. Vor zwei Wochen habe ich natürlich meinen Widerspruch gefaxt, aber bis jetzt wurde weder der Empfang bestätigt, noch eine Korrektur geschickt. Ich, der Student, gebe dem großen Unternehmen also momentan Kredit.
Könnte das Methode haben?
Keine Ahnung, geben ist jedenfalls seliger, denn nehmen!
Edit 21-11-2006:
e.on Hanse hat das Kreditvolumen heute um weitere 71 EUR erhöht.
Weitere Stimmen im Netz
Edit 15-03-2007:
Unglaublich aber wahr: im August '06 abgelsen, Oktober '06 abgerechnet, März '07 Rückzahlung geleistet (selbstredend ohne Zinsen). Also, machts gut und bis zum nächsten Kredit.
Montag, November 13, 2006
Endlich wieder Skandalfernsehen
Doch jetzt ist mit Brat Camp wieder ein Format mit hohem Skandalpotenzial in Aussicht, wie Medienrauschen soeben berichtet. Einen Zahn schärfer als bei der Supernanny sollen aufmüpfige Kinder vor laufenden Kameras in einem Camp gedrillt werden. So denn die Medienaufsicht das Unterfangen zulassen sollte. Eine große begeisterte Zuschauerschaft ist jedenfalls zu befürchten. Da erlaubt es sich nur noch, eine Frage zu stellen:
Wer drillt die Eltern, die sich ihre erzieherischen Defizite medial versilbern lassen (etwa Big Brother)?
Samstag, November 11, 2006
Beta Blogger
Die schönste Neuerung, auf die ich ehrlich gesagt schon länger gewartet habe, ist das Labeln bzw. Taggen der Beiträge zu einer thematischen Sortierung. Allerdings will ich nicht ausschließen, dass die Erneuerung auch zum Wegfall einiger Elemente geführt hat, die vorher da waren. Auch die Werbung nimmt jetzt etwas mehr Raum ein...
Ich freue mich jedenfalls über Feedback.
Warum Marketing-Jobs so beliebt sind
Das Internet kennt allerdings den wahren Grund: Marketing und Management sind die Schwerpunkte, die mit den geringsten Mathematik-Kenntnisen, die beste Karriere erwarten lassen. Soviel also zur Karrierepropaganda der Springerpresse.
Wie das Marketing funktioniert, lernen wir außerdem bei Dilbert. Im Comic des Tages außerdem, warum Mathekenntnisse absolut abkömmlich sind:
Dilbert: I need some data from an unreachable guy named Ed. What should I do?
Dogbert: Just make up a bunch of data like everyone else does.
Dilbert: Everyone else does that?
Dogbert: Are you doubting my data?
Freitag, November 10, 2006
Open BC, Xing oder der Mythos der Verlinkung
Der Blogger definiert sich durch die Zahl der Verlinkungen und ggf. durch die Qualität der Verlinkungen. In welchen Kreisen bewegt er sich, wen kennt er, zu welchen Netzwerken gehört er. Kommentarschreiber strappato definiert sich durch seine Vernetzung mit Don Alphonso, C. Heinemann definiert sich durch den Kontakt zu einem Werbeblogger oder einem Knüwer. Das sagt schon eine Menge darüber aus, was diese Menschen wohl bloggen. Die Verlinkung wird dazu von Google honoriert, sie beeinflusst den Page-Rank und damit die Platzierung in der Suchmaschine. Wer gut verlinkt wird, ist relevant.
Ein interessantes Phänomen der modernen Gesellschaft, die sich jetzt des Web 2.0 bedient, ist der Open Business Club. Dort kann sich jeder mit einer Kontaktseite darstellen, Kontakte knüpfen und Karriere machen. Das eigentliche Spiel besteht allerdings darin, gemachte Kontakte offen zur Schau zu stellen und sich letztlich damit zu definieren, wen man kennt, wen man als Kontakt im Profil hat. Tritt man mit jemandem in Verbindung, schaut man zunächst, wer seine Kontakte sind. Bestehen diese zum größten Teil aus Tagträumern, die nicht mal ein Foto hochladen und über zwei Kontakte nich herausgekommen sind, Finger weg, eine solche Verbindung könnte dem eigenen Image schaden. Bestehen die Kontakte allerdings in Branchenführern, gut vernetzten Leuten, kann man selbst davon profitieren, sich in ihrem Dunstkreis aufzuhalten. So funktioniert das Netz.
Dieses Spiel wird einem zeitgenössischen Mythos in hohem Maße gerecht. Wie im Beitrag über den Mythos erläutert, besteht die Eigenschaft des Mythos darin, einem Zeichen eine neue Bedeutung hinzuzufügen und die denotative Bedeutung verblassen zu lassen. Was hier verblasst ist die eigene Identität. Sie wird zum Substrat der Verlinkung. Vielfach interessiert nicht der eigene Kontakt, sondern der Kontakt des Kontaktes, wenn nicht sogar die bloße Masse der Verlinkungen. Diese Sichtweise kann sogar zum Stillstand führen. Warum an der eigenen Persönlichkeit und eigenen Fähigkeiten feilen, wenn man besser beraten ist, sein Netzwerk auszubauen?
Aufschlussreich scheint auch die Analogie zur Unternehmenskommunikation und -identitätsbildung im Web 2.0. Wir werden immer mehr Ich-AG, freiberufliche Nomaden, digitale Bohème...
Roland Barthes: "Mythen des Alltags"
Schematisch stellt der Mythos sich ganz ähnlich der Konnotation dar: ein komplettes Zeichen aus Bedeutendem (Signifiant) und Bedeutetem (Signifié) wird zum Bedeutendem eines Zeichens auf einer weiteren Ebene, womit verbunden ist, dass es mit einem weiteren Bedeutetem verbunden wird. In der Metasprache verhält es sich umgekhert: hier wird ein vollständiges Zeichen zum Bedeuteten.
Was nun die Konnotation vom Mythos unterscheidet geht aus Barthes' "Mythen des Alltags" und "Elemente der Semiologie" nur indirekt hervor: während die konnotative Bedeutung mehr oder minder gleichberechtigt neben der denotativen (ursprünglichen) Bedeutung steht, drängt der Mythos die denotative Bedeutung in den Hintergrund. Er überlagert sie. Etwa konnotiert Freitag der 13. Unglück. Das ändert aber nichts an der denotativen Bedeutung dieses Tages, an dem man Termine haben kann usw. Die Person Ludwig Erhards verbalsst mittlerweile dagegen völlig hinter dem Mythos des Wirtschaftswunders. Man kann nicht behaupten, Ludwig Erhard würde das Wirtschaftswunder konnotieren. Wenn heute in einem Zeitungsartikel von Erhard die Rede ist, verkörpert er geradezu das Wirtschaftsunder. Das ist die Funktion des Mythos.
Der hauptsächliche gesellschaftliche Effekt des Mythos ist es nach Barthes, den Zustand aufrecht zu erhalten: "Zweck der Mythen ist, die Welt unbeweglich zu machen" (S. 147). Damit ist der Mythos der Revolution entgegengesetzt. Die Revolution und der Mythos schließen einander aus (und wenn eine Revolution Mythos wird, ist das wieder ein Zeichen von Stillstand).
Barthes' Beispiele sind zahlreich; besonders eindrucksvoll ist das Beispiel zum Umgang des Kleinbürgers mit Fremden: "Einer hat keine weiße, sondern eine schwarze Haut, jener andere trinkt Birnensaft und keinen Pernod. Wie den Neger oder den Russen assimilieren? Hier gibt es nur eine Rettung: den Exotismus. Der Andere wird zum reinen Objekt, zum Spectaculum, zum Kasperle. An die Grenzen der Menschheit verwiesen, stellt er für das Zuhause keine Gefahr mehr dar." (S. 142f.) Hier wird klar, dass durch Witze und Schauermärchen über alle Fremden (und sei es nur, dass sie nicht arbeiten, sondern stehlen), den eigentlichen Menschen mit seiner Identität und seinen Fähigkeiten so weit in den Hintergrund drängen, dass er kaum mehr existiert. Der Mythos entwertet den anderen und verbindet die kleinbürgerlichen Urheber dieses Mythos.
Sonntag, Oktober 15, 2006
Nachlese: Philipp Retingshof
Doch was ist das Ergebnis dieses Spiels, an dem angeblich 2 Millionen Menschen teilhatten?
- Zwei Millionen haben angeblich zugesehen, aber kaum ein Hundertstel Promille von diesen Massen hat mitgespielt oder Kommentare geschrieben. Zeitweise schienen sich nicht einmal genügend Mitspieler zu finden, um das Spiel voranzutreiben.
- Die Rätsel waren offensichtlich zu schwer und zu zeitaufwändig. Man konnte nicht mal eben so nebenbei spielen, weil allein das Lesen schon zu viel Zeit gekostet hat. Die Zeit zum Herumrätseln haben nur die allerwenigsten aufgebracht. Dabei war das Spiel allerdings sehr zielgruppengerecht. Wer Enigma mag, so möchte man meinen, rätselt gern und hat Spaß an mystischen Geschichten. Populär war das jedoch nicht.
- Man möchte meinen, dass so viel Blogglärm und Verlinkung von prominenten Seiten ein sehr gutes SEO bewirkt und die Seite in Suchmaschinen gut platziert, aber ein einfacher Page-Rank-Check zeigt für Philipp Retingshof einen Rank von Null.
- Obwohl AOL eine eigene Themenseite dafür eingerichtet hat, kam das Spiel nicht richtig in die Gänge.
- Aber vor allem - und da rollen sich jedem Dramaturgen die Fußnägel hoch - hatte die Geschichte kein Ende. Das Spiel brach nach einem Showdown-Minievent einfach ab. Wer es verpasste, hatte das Nachsehen, Philipp Retingshof wurde nach seinem Verschwinden in eine andere Welt (wahrscheinlich lauschte er andächtig Cretus Musik...) zwar angeblich durch eine Aktion der Handvoll Mitspieler zurück geholt, einige behaupten, ein Bier mit ihm getrunken zu haben, das offenbar so schal war wie das ganze Ende des Spiels. Danach war er weg. Bloggt nicht mehr, hat die Schnautze voll. Ob sich dieses Experiment für Cretu gelohnt hat, bleibt zu bezweifeln, eine Numerologie-Tour durch die Hörsäle der Nation hätte sich vielleicht eher gelohnt.
- War das jetzt eigentlich alles? Offensichtlich ja.
Den Germanisten juckt es jetzt in den Fingern, die Erzählsituation des ARGs zu betrachten...
To be continued
Sonntag, Oktober 08, 2006
Jürgen Vogel und Daniel Brühl in "Ein Freund von mir"
Die Geschichte ist unter der Regie von Sebastian Schippel wunderbar erzählt. Ohne unnütze Dialoge oder umständliche Sequenzen lassen die Macher dieses Films Bilder sprechen. Die schönsten und aussagekräftigsten Momente sind hier gerade die angedeuteten, nicht gezeigten: genau darin besteht die große Kunst. Brühl und Vogel (von den anderen ganz zu schweigen) spielen einfach grandios. Zum Vergleich: Ulmen in "Elementarteilchen" ist auch ein introvertierter Wissenschaftler auf der Suche nach seinem Lebensglück, doch Brühl gelingt es, diesen Charakter noch hintergründiger und ehrlicher zu verkörpern. Dieser Film ist an keiner Stelle billig oder oberflächlich, wie man es bei einem Plot "Lebemann zeigt schüchternem Pflichtbewussten die schöne Welt" unterstellen könnte.
Um auf den Vergleich mit "Elementarteilchen" zurückzukommen: auch das ist ein guter Film, allerdings mit einer ganz anderen Konsequenz als "Ein Freund von mir". Hans (Jürgen Vogel) schafft es, auf seine eigene Weise, das ganze Publikum mit seiner Art anzustecken.
Eine dicke Empfehlung für alle Fans des deutschen Kinos.
(Gesehen als Premiere auf dem Hamburger Filmfest am 5.10.06 - Foto: Atmosphäre am roten Teppich)
>> Absolute Giganten (Regie: Sebastian Schipper)
>> Kommentar zum Film auf elfzehn84
>> Filmfest Hamburg
Montag, Oktober 02, 2006
Strato: große Preiserhöhungen klein gedruckt
Die tollste Neuerung steht ganz unten und ist nicht hervorgehoben: der Spaß kostet nicht mehr 0,69, sondern 0,99 EUR pro Monat. Das sind Centbeträge, und wer bei Centbeträgen meckert, ist ein alter Geizhals. Aber es ist verdammtnochmal eine Preiserhöhung von satten 43 %. Wer mich jetzt einen alten Geizhals schimpft, soll mal versuchen, solch eine Marge bei seinem Chef als Lohnerhöhung rauszukitzeln und das Ergebnis hier als Kommentar veröffentlichen. Bisher war ich Strato-Fan, aber wenn sie die Preise schon dermaßen erhöhen müssen, warum können sie das dann nicht einmal ehrlich sagen?
Edit 05.10.06: Auf meine Anfrage, ob ich nicht mit den alten Konditionen beim alten Preis bleiben könnte, kam folgende Antwort:
"Mit unseren neuen, innovativen Zusatzleistungen entsprechen wir den gewachsenen Anforderungen unserer anspruchsvollen Kunden. Ihnen, als treuen Partner haben wir einmalig eine Gutschrift plus Dankeschön im Wert von 5 EUR bei Aufrechterhaltung des Vertrages erfasst.
Wir wünschen Ihnen einen schönen Tag.
Wir freuen uns, dass Sie unserem anspruchsvollen Service vertrauen."
Dienstag, September 26, 2006
Prekär, ein verspäteter TV-Tipp
Warum suchen Firmen Seniorpraktikanten, aber keine Angestellten? Weil Geiz geil ist. Und warum ist Geiz geil? Weil sich kein Mensch mehr teure Dinge leisten kann. Die Angestellten der Discounter jammern, weil sie ausgebeutet, gemobbt und kleingehalten werden, die jungen Akademiker beschweren sich über die Jammerei, immerhin gibt es bei den Schleckerzwergen, der Lidl-Hexe und Wichtel Aldi noch Angestelltenverhältnisse.
Auch kleine innovative Firmen werden kleingehalten und runtergekocht, bangen um jeden Auftrag und nehmen deshalb auch alle die Aufträge an, die gerade mal Strom und Miete decken. Kein Geld und keine Perspektive für Angestellte. Also Praktikanten: Fortschritt erleben und Strom und Miete decken, alle halbe Jahr wo anders.
Heuschreckenkapitalismus steckt dahinter. Mit Bimbes und latenten Drohungen engagiert er sich in der Politik (das Wort "Massenentlassungen" überzeugt noch jedes MdB). Dabei ist jetzt ein neues Geschäftsfeld entstanden: die Einführung von Studiengebühren kurbelt die Kreditwirtschaft an (vermutlich verwaltet von Praktikanten).
Was sagt denn jetzt die Politik? Es gibt einen riesigen Akademikermangel, Kindermangel und Langzeitstudenten, die es sich gut gehen lassen, statt einmal Verantwortung zu übernehmen und eine Familie zu gründen und vor allem auch mal in die Rente einzuzahlen - natürlich mit stattlichen staatlichen Zuschüssen à la Riester für eine notwendige private Vorsorge (Voraussetzung ist allerdings eine richtige Beschäftigung).
Also Kinder: studiert artig mit einem der günstigen Studienkredite, macht über zwei Jahre wechselnde Praktika und kümmert euch um einen Platz als Scheinselbstständiger. Wenn ihr dann paarunddreißig seid, könnt ihr vielleicht anfangen, euren Studienkredit abzustottern. Danach könnt ihr für Nachwuchs sorgen, sofern die biologische Uhr noch tickt und ihr überhaupt zeugungsfähig seid, bei all dem Stress und der Jobangst. Denn unser Staat braucht ja Leute, die in die Sozialversicherung einzahlen *hust*. Außerdem sollen die lieben kleinen, wenn es nach unserer Politik geht, ja möglichst bald Tabaksteuer bezahlen und die Wirtschaft ankurbeln indem sie Klingeltöne herunterladen.
Oder macht es richtig: übt Radfahren und macht "Proktologiepraktika" für eine politische Karriere oder bezieht wahlweise, sobald es möglich ist, ALG II - dann habt ihr genug Gelegenheit, Kinder zu machen und sie großzuziehen. Nebenher könnt ihr euch engagieren, vielleicht für ausgebrannte "Seniorpraktikanten".
Dienstag, September 12, 2006
Münchhausen-Overkill
Doch was ist das Fazit? - Wir erleben hier den interessanten Moment, wo ein interaktives Medium dabei ist, sich selbst zu definieren. Ein Dorado für die Medienwissenschaft. Außerdem sieht man hier sehr schön neue Strukturen des Erzählens - also auch ein Dorado für die Narratologie (hier gibt es offensichtlich mehrere Erzähler unterschiedlicher Ordnung).
Jede Daily-Soap erzählt Geschichten und niemand beschwert sich. Kosmetikfirmen bezahlen das und niemand schreit auf. Die jüngsten ARGs haben bewiesen, dass eine Menge Arbeit darin steckt und die braucht Kapital. Der arme Philipp R. kommt nicht mehr zum Restaurieren, das er eigentlich gelernt hat, trotzdem will auch seine Miete bezahlt werden. Das Web 2.0 findet hier gerade neue Genres und dankenswerterweise fanden sich auch schon Firmen, welche das Ganze sponsern. Wem das zu kommerziell ist, der soll halt Mäzene werben für diese neue Kunst. Dieses Genre ist vermutlich vorwiegend trivial, doch wer ist das nicht? Das Potenzial für E-Formen ist neben den U-Formen (um diese zweifelhaften Begriffe aus dem Themenfeld Musik zu nehmen) zweifellos gegeben.
Und ob der Dramaturg nun als Storyliner bei GZSZ oder bei "Hustle the sluff" arbeitet, ist auch Wurscht. Würden sie doch wenigstens Dramaturgen beschäftigen und nicht alles auf die BWL-Praktikanten oder Creative-Fuzzis abwälzen.
Ich freue mich auf die nächste Lüge.
Sonntag, September 10, 2006
"Heat" (Thriller USA 1995, Regie: Michael Mann)
Heat nutzt zwar offensichtlich das Field'sche Schema, aber auf eine kreative Weise. Der Film weicht schon durch die Länge von 2 Stunden und 40 Minuten vom Schema ab. Außerdem ist die Dramaturgie mehrschichtig (die Wendepunkte, Klammern, der zentrale Punkt betreffen verschiedene Themen - Liebe vs. Verbrechen - und außerdem verschiedene Figuren).
Besondere Stilmittel liegen vor allem in den Figuren: die Verbrecher (außer Waingro natürlich) sind von Anfang an sympathisch charakterisiert. Man gönnt ihnen den Erfolg. Und als sie (nach knapp 80 Minuten - Mitte des Films) die Entscheidung treffen, den großen Coup durchzuziehen, ist das Fiasko sicher. Dabei könnten sie alle mit dem bereits Erbeuteten und ihren Frauen aussteigen und gemütlich leben.
Vincent und Neil sind eine Art Doppelgänger, "besessen vom Verbrechen, getrennt durch das Gesetzt" (Text auf der DVD). Und das sind sie nicht nur durch die ähnliche Besetzung mit Pacino und de Niro. Gemeinsam scheitern sie - weil sie nicht anders können. Auf der Ebene des Mythos bestätigt "Heat" interessanterweise den amerikansichen Traum: alle habe die gleichen Chancen zur Selbstverwirklichung, zu einem erfüllten und ertragreichen Leben, (ironischerweise) selbst die Verbrecher. Weil sie ihr Streben aber übertreiben, den Hals nicht vollkriegen können, scheitern sie schließlich. Die negative Darstellung übertriebener Formen bestätigt das Ideal und "Heat" bestätigt so den American Dream.
Anmerkung:
Eine interessante Bemerkung macht Pacino in der deutschen Synchronfassung, als er Alan Marciano unter Druck setzt:"bin ich nicht ein wilder Tiger?" - wie wir wissen ist sein Doppelgänger ein "wilder Stier". Leider ist von dieser Verbindng in der englischen Originalfassung nichts enthalten:
Alan Marciano: Why'd I get mixed up with that bitch?
Vincent Hanna: Cause she's got a great ass... and you got your head all the way up it! Ferocious, aren't I? When I think of asses, a woman's ass, something comes out of me.
(Quelle: IMDB)
Siehe auch:
>> Zum Thema Doppelgänger (sehr lesenswert) - Doležel, Lubomír: „Le triangle du double. Un champ thématique.“ In: Poétique: revue de théorie et d'analyse littéraires 61 (1985), 463-472.
>> Heat
Samstag, September 09, 2006
Für alle Sprachbegeisterten...
Meine Favoriten sind die Beiträge über die edle Kunst des Karate (weil wir gerade bei Sprachspielen sind: ich war schon immer der Meinung, dass zwei der wichtigsten Prinzipien jeder Kampfsportart Teu-Chung und Thai-Ming sind - es geht also auch homophon, aber nicht homograph), die Ausführungen über Penisland (nicht was ihr jetzt denkt) und natürlich die Top 5.
Das ganze Leben ist voll von diesen kleinen Homonymen, eben gerade hat mir blogger.com schon wieder die Blogerstellung angeboten, tststststs....
(Gefunden über Wikipaedia.)
Sonntag, September 03, 2006
αμαρτία - Hamartia: Einsatzmöglichkeiten vergessener Konzepte der Dramaturgie
Aristoteles behandelt die Hamartia in der Poetik, Kapitel 13: der Held der Tragödie soll einen Umschlag vom Glück ins Unglück erleben und zwar "wegen eines Fehlers" (S. 29). Einige Unklarheit besteht immer noch darüber, ob dieser Fehler als punktueller Fehler gemeint ist, der zu einer Wende im Plot führt, oder langfristiger Charakterfehler. Darüber erhält man in den gängigen Definitionen durchaus unterschiedliche Hinweise.Die Hamartia wird in Verbindung mit der Hybris gesehen. Der soeben verlinkte Beitrag ist ungenau: "Hamartia is the fall of a noble man caused by some excess or mistake in behavior" - bei Wilpert dagegen heißt es: "Fehleinschätzung und Verkennung der Situation und entsprechendes Fehlverhalten des Helden". Hamartia bezeichet also die Ursache, nicht das Resultat. Teilweise bleibt es in der Definition offen, ob der Fehler im Charakter des Helden zu finden ist, in seinem Verhalten oder auch nur in seiner Vergangenheit. In der Theologie wird der Ausdruck Hamartia übrigens als Sünde gebraucht - bezeichnet also eine schwerwiegende Verfehlung.
Ein schwerwiegender Charakterfehler wird bei Aristoteles offensichtlich für einen Helden grundsätzlich ausgeschlossen, denn ein solcher würde notwendige Identifikation mit dem Helden (bzw. die Reaktionen Eleos und Phobos) verhindern und somit letzlich die Katharsis zerstören. Ein wirklich fehlerhafter Mensch hätte das Umschlagen von Glück ins Unglück schließlich verdient. Ein weniger schwerwiegender Charakterfehler ist allerdings durchaus im Rahmen. Oedipus weist offenbar sogar mehrere Charakterschwächen auf.
Fuhrmann kommentiert, Hamartia bezeichne die falsche Einschätzung einer Situation durch den Helden aufgrund von mangelnder Einsicht. "Die Hamartia geht offensichtlich nicht aus einer Charakterschwäche hervor (der 'zwischen' den Extremen stehende Held gerät ja nicht wegen seiner Schlechtigkeit ins Unglück), andererseits scheinen eine mehr oder minder durchschnittliche Beschaffenheit des Charakters und die Möglichkeit eines Fehlgriffs einander zu bedingen" (Poetik, S. 118).
Meines Erachtens lässt sich die Frage folgendermaßen logisch klären: Hamartia bezeichnet einen weniger schwerwiegenden (d.h. auf seiner Menschlichkeit beruhenden) Charakterfehler des Helden, der notwendigerweise in einer dramaturgisch zugespitzten Situation zu Tage tritt und i.d.R. einen Wendepunkt einleitet, d.h. die Tragödie auslöst. Hamartia ist damit also nicht der punktuelle Fehler oder der dadurch ausgelöste Wendepunkt, sondern ein schon im Charakter angelegter Fehler. Nur darf dieser nicht so schwer wiegen, dass er den Helden zu einem schlechten Menschen macht. Dass dieser Fehler nun punktuell auftritt, entspricht der Logik einer spannenden nd kohärenten Dramaturgie. Einen charakterlichen Fehler womöglich in langen Monologen auszuwälzen, hätte damals wie heute vermutlich keinen Erfolg: er muss pointiert zu Tage treten und die Handlung voranbringen.
Eine Nähe zur dramatischen Ironie ist der Hamartia nicht abzusprechen. Dafür sollte man dramatische Ironie nicht im engeren Wortsinn auf die Replik einer Figur beziehen, die durch der Figur unbekannte Umstände einen ironischen Sinn erhält, sondern nach Pfister auch auf außersprachliches Verhalten, das für die Rezipienten, aufgrund ihrer überlegenen Informiertheit eine den Intentionen der Figur widersprechende Zusatzbedeutung erhält. Der Effekt ist klar: der Rezipient weiß, dass der Held einen Fehler macht und reagiert entsprechend emotional. Die diskrepante Informiertheit ist eine der wichtigsten dramaturgischen Ressourcen, aus der Fehleinschätzungen - wie sie für die Hamartia zentral sind - entstehen.
Da die Anforderungen an einen Helden heute andere sind als zu Aristoteles' Zeiten, kann man dieses Konzept nicht direkt übertragen. Gladiator Maximus erlebt den Umschwung von Glück ins Unglück zwar durch ein Verkennen der Situation, doch sein einziger charakterlicher Fehler ist sein zu großes Vertrauen. Jack Dawson - Protagonist von Titanic - den man sicherlich in gewisser Weise als Held des Films bezeichnen kann, stürzt ins Unglück aufgrund der groben Fehleinschätzung eines anderen. (Die ideologische Lesart, dass er damit die schicksalhafte Sanktion seiner ständeübergreifenden Liebe erlebt, ist allerdings durchaus zulässig.) Ein sehr beliebter Gebrauch sowohl des charakterlichen Fehlers als auch der fatalen Fehleinschätzung findet in romantischen Komödien statt. Allerdings mit einer ganz anderen Konseqenz als im antiken Drama. Dieser Fehler ist in romantischen Komödien - notwendigerweise - reversibel. Die Charakterschwäche wird korrigiert, die Fehleinschätzung revidiert und sie lebten glücklich und hatten viele Kinder.
Die Dramaturgie sollte sich davor hüten, antike Konzepte zu vergessen oder als überholt abzutun. Oft können sie dabei helfen, das Potenzial einer Geschichte besser auszuschöpfen, indem bestimmte Aspekte akzentuiert werden. Deshalb lohnt es sich, auch die Hamartia im Hinterkopf zu behalten.
Siehe auch:
>> Valediction
>> 123 helpme
>> Die Hamartia im Death Metal will ich auch nicht verschweigen: 1., 2.
Mittwoch, August 23, 2006
GEZ-Gebühren für beruflich genutzte PCs und Mobiltelefone
Gegen den Plan, Rundfunk-Gebühren für beruflich genutzte PCs und Mobiltelefone einzuführen, gibt es jetzt eine Unterschriftenaktion.
Sonntag, August 20, 2006
Du bist Sick!
Doch was kann man als Germanist darüber aussagen?
Falsch und richtig gibt es in Bezug auf Sprache eigentlich nicht. Dies sicherlich zum Leidwesen aller Sprachnostalgiker. Es gibt einen mehrheitlichen Sprachgebrauch und es gibt Wendungen die nicht funktionieren, weil sie niemand versteht. Sprache ist pragmatisch. Sie dient der Kommunikation und wenn diese nicht zustande kommt, hat die Sprache nicht funktioniert. Das ist es noch am ehesten, was man als falsch bezeichnen könnte.
Sprache ist dynamisch und in einem Prozess ständiger Entwicklung begriffen. Wenn jetzt jemand die Seiten der Sick-Fans, der Gegner des "Fredfeuersteindeutsch" und Sprachpuristen einfach "geil" findet, mag das für die Dorfältesten ein Skandal sein, für den Fachmann ist es halt ein Bedeutungswandel. Dynamik und Sprachwandel beinhalten auch das Phänomen, welches den Sprachsaubermännern am meisten Angst macht: das die Minderheit plötzlich zur Mehrheit wird, die gehasste Formulierung zum Standard und damit falsch zu richtig und richtig zu falsch.
Was ist also richtiges Deutsch?
Die Antwort ist ganz individuell, denn jeder wird sich aus diesem dynamischen Prozess seinen eigenen Moment des Standards ausgewählt haben, möglicherweise den Standard seiner Grundschulzeit. Andere wettern gegen regelhaftes (Duden-)Deutsch und pochen gerade auf jene Dynamik: man sollte doch Standards aus anderen Regionen als falsch erklären. Damit wird ein regionaler Standard verabsolutiert. Wer jetzt also sagt, "Deppenapostroph nein Danke" und englische Wendungen und Strukturen zu übernehmen mache keinen Sinn, müsste also zunächst jeglichen Sprachwandel ausschließen und zusätzlich jede Entlehnung aus jeder anderen Sprache: z.B. nicht nur Englisch, sondern auch Französisch, Latein, Griechisch etc. Damit wäre ein gewaltiger Rückschritt vom heutigen Deutsch zu archaischen Formen indogermanischer Natur getan (keine Angst, das ist gar nicht möglich). Niemand würde diese Damen und Herren mehr verstehen und diese neue Sprache hätte alles Zeug zum falschen Deutsch im eigentlichen Sinne. Ein Teufelskreis...
Dass es schon eine unlösbare Aufgabe geworden ist, den schmalen Grat zwischen richtig und falsch festzulegen, zeigt das Gerudere der Rechtschreibreform und der Reform der Reform. Diese Neufassung geht einigen nicht weit genug und anderen schon viel zu weit. Das Ergebnis sind jedenfalls neue Regeln, die genau so viel Verwirrung stiften wie die alten. Es bleibt nur ein stetes Nachschlagen.
Nachtrag 22.08.06: Eine sinnvolle Verwendung für das sog. Deppenapostroph habe ich schon gefunden: Thoma's Kommentare (denn wer zum Henker ist dieser Thomas K.?). Ex-RTL-Chef Helmut Thoma sagte zum Beispiel: "Über Qualität lässt sich trefflich streiten. Aber eins steht fest: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler." Medienwissenschaftler Reinhold Viehoff kommentiert dazu: "Vom Schmecken kann ja schlechterdings aus der Sicht des Fisches, der an der Angel zappelt, nicht mehr gesprochen werden, sondern nur noch aus der des Anglers, der noch etwas Appetitliches vor sich hat" (in Vogt 2004, S. 106).
Siehe auch:
>> Markners Kommentar in der BZ
>> Gaugers Konkurrenzbuch zu Sick
Mittwoch, August 16, 2006
Viralkaffee?
Die Autoren mutmaßen jedenfalls, dass es dieser Getränkehalter sein wird, welcher den Chrysler in alle Munde bringt. Ohne jegliche Belege, dass schon irgendjemand "Buzz" erzeugt hätte (Technorati am 16. Aug.: zwei Einträge, einer davon ist der von TRND). Für so viel Text scheint mir das ziemlich an den Haaren herbei gezogen.
Zum Vergleich: mein 'Schwager' hat einen Regenschirm im Griff der hinteren Tür seines Autos versteckt (werkseitig). Trotzdem erzählt er es nicht rum. Man entdeckt es höchstens beim gelangweilten rumspielen ("ist das hier eine Klappe?"). Ich komme aus Hamburg und weiß so einen Schirm zu schätzen, doch jetzt erwähne ich nicht einmal, um welche Marke es sich handelt. Also nicht viral. Es wird zu prüfen sein, ob Chryslers Kaffeehalter viral wird. Ich habe da Zweifel. Erfahrungsgemäß wird es in Deutschland allerdings sofort eine Riesenwelle auslösen, wenn es Probleme gibt und dieses Gadget plötzlich die Cola heizt und den Nierentee kühlt.
N.B.: Ich hätte auch vor Ort kommentiert, aber die Anmeldung war mit zu suspekt. Deshalb an dieser Stelle.
Montag, August 14, 2006
Es macht soeben die Runde: bald ist aus mit googeln!
Viele sagen jetzt, sollen die doch froh sein über den Erfolg, ein Verb zu prägen, nicht meckern, und die Guten bleiben, aber es geht hier doch vor allem um markenrechtliche Verletzungen, also nicht darum, seinen Kommilitonen zu empfehlen, doch mal einen Autoren zu googeln etc. Sonst könnte ja jeder seine Schrottmaschine ins Netz stellen und großspurig sagen: "googelt besser mit XYZ". Also ist Googles Sorge verständlich. Zunächst verwundert, dass Google selbst und nicht die Konkurrenz gegen die häufige Verwendung dieses Verbs in den Medien klagt. Doch 'geheims' Kommentar klingt plausibel: wer seine Marke nicht schützt, wird sie los. Offensichtlich ist das alles kein Anlass zur Besorgnis.
Ich googel im Moment noch, wo's mir passt, aber wenn es hart auf hart kommt, muss ich wohl bei Google jahuhn, jawohl. Ich will es mir ja nicht mit meinem Host verscherzen.
Via:
>> Beitrag bei Martin Oetting
>> Beitrag von Riesenmaschine
>> Beitrag im Medienrauschen
>> Sich selbst googeln
Freitag, August 11, 2006
Philipp Retingshof und der Pastor von Lengenmoor
Und genau an diesem Punkt wird es billig. Da wurde nun so viel Zeit investiert, ganz viele Seiten aufzubauen und zu pflegen, um damit ein Detektivspiel zu versanstalten und keiner hat sich die Mühe gemacht, mal den Namen zu wechseln.
Langsam vermute ich, dass das Ganze nur Reklame für einen Leipziger Domain-by-Proxy-Service ist...
Edit 12-08-06: Zugegeben, dieser Kommentar rührt von meiner mangelnden Erfahrung mit ARGs ... bei Monopoly beschwert sich ja auch keiner, dass die Schlossallee und die Lessingstraße auf dem selben Spielfeld sind oder dass die Männchen alle aus der selben Tischlerei stammen.
Donnerstag, August 10, 2006
Helena Stavros' virales "Schmierentheater"
Nur für wen wurde dieser Aufriss getrieben? Ich vermute, dass es sich dabei um Eigenwerbung der Agentur handelt, um die nach wie vor skeptischen Entscheider über jene Marketingetats davon zu überzegen, dass reichweitenstarke Blogger immer für ein bischen kostenlose Werbung gut sind (Don Alphonso spricht hier vom AAL-Prinzip).
Absolut lesenswert ist, was Don Alphonso über den "Virus im Podex der Vialmarketeers" schreibt und wie man das Parkett der viralen Werbung als den Fußboden jener Agentur entlarvt. Auch ganz interessant: Röthlingshöfers Blog.
Was ich jedenfalls neidlos anerkennen muss, ist der Ansatz, einen Krimi in einem
P.S. Auch hier erfährt man wieder etwas über die Reichweite von Blogs: wer von der Todesanzeige (per Schneckenpost) verschont blieb, sollte ggf. lieber Post-It-Notes an den Kühlschrank heften...
P.P.S. Don Alphonsos Kumpel Strappato hat Recht: "Viral" ist für dieses eingeschlafene Spiel weit übertrieben. Zwischen Viralität und Banalität liegt eben doch nur ein schmaler Grat.
Montag, August 07, 2006
Sich selbst googeln
Gibt man meinen Namen in den gängigen Suchmaschinen ein, bin ich Diplom-Ingenieur, habe ein Autogramm-Trikot gewonnen, in St. Martinus geheiratet, bin Blutspendebeauftragter, habe Leserbriefe geschrieben, war Torschützenkönig, bin Referendar für katholische Religion, Däne, Norweger, Director International Project Management, Marathonläufer, Obergefreiter, Karthäuser, Stabhochspringer und Autovermieter.
Wer mich kennt, wird schmunzeln ;-)
Daraus sollte man ein Blog-Meme-Spiel machen (wenn es das noch nicht gibt), ich bin gespannt auf die Reaktion der Blogosphäre.
Sich selbst googeln bei:
>> Narkotix
>> Miss Rhapsody
>> Markus Kavka
Sonntag, August 06, 2006
Abzocke von Filmfans - leider gängige Methode
Diese Art der Abzocke hat mehr und mehr Methode: ein wirklich origineller Film kommt in die Kinos, begeistert die Massen und spielt Unmengen Geld ein. Das ruft
Der neue Fluch der Karibik ist sicherlich solide Unterhaltung und ohne Zweifel spannend und witzig. So richtig überzeugen kann er allerdings nicht, denn die Originalität der Piratenkomödie und des Charakters Jack Sparrow ist weitgehend verschwunden. Außerdem bleibt - nicht zuletzt aufgrund des Cliffhangers - der fahle Nachgeschmack, dass hier nur versucht wurde, Kasse zu machen, und dass Überlängenzuschlag und Sitzfleisch den Erwartungen nach dem gelungenen ersten Teil einfach nicht gerecht werden.
Zum Glück blieb die Filmwelt von Casablanca II und III verschont (spiel mal was anderes Sam...), von Citizen Kane 'Republished' und 'Regurgitated' oder von '1 Uhr Mittags' und '2 Uhr Mittags' als Sequels von High Noon. Hoffentlich sehen die Finanzen von Jean-Pierre Jeunet so stabil aus, dass wir Amélie ohne Ehekrise und Midlifecrisis in Erinnerung behalten dürfen. All diese originellen Filme hätten mit Sicherheit einiges von ihrem Kultstatus eingebüßt, wenn man ihnen Sequels nebst Cliffhanger aufgebürdet hätte.
Freitag, August 04, 2006
Das Merseburg der Träume
Ansonsten handelt es sich um brauchbare Unterhaltung nach bewährtem Schema. Obwohl etwa die Szene fehlt, in welcher der reumütige Ehemann mit seinem schnittigen Mercedes Kabriolett den Weg nach Merseburg antritt, um seine verlassene Frau von ihrer gebeutelten Jugendliebe loszueisen, erwartet man doch seine Ankunft auf die Minute. Und spätestens als er seinen Krankenhausekel offenbart, lautet die dramaturgische Diagnose, dass die kleine Emelie überleben und ein wackeres Mädel sein wird.
A propos Merseburg (eine schöne Stadt und weiß Gott eine Reise wert): die Stadt ist tatsächlich in einer einzigen Einstellung (ca. 3 Sekunden) zu erkennen. Der Rest ist nur für den Insider verortbar, für alle anderen könnte es sowohl in der Umgebung von Merseburg, als auch in Mecklenburg oder gar in der Altmark oder sonstwo sein. Der Marktplatz, an dem die Aussprache der Zerrütteten stattfindet, ist jedenfalls nicht in Merseburg, sondern wie der Rest auch am See der Träume ... dort wo der ewige Frühling herrscht, der so lange währt, wie eine junge Frau jenseits der 40 trächtig ist, so lange wie eine Dramenschnulze der Degeto läuft, so lange wie moderne Paare mit der Selbstfindung beschäftigt sind. Und wenn sie nicht gestorben sind ... denn wenn sie sterben hat's gleich neuen Stoff für den nächsten Traum, den nächsten Freitag.
(Foto: Merseburg im Winter)
Über die Reichweite von Blogs...
Pearls Before Swine ist verfügbar bei Comics.com und wird täglich aktualisiert.
Samstag, Juli 29, 2006
Irrlicht: "Mit dem Teufel im Bunde: Die üblen Machenschaften einer gefährlichen Frau"
Der Ansatz ist spannend: Jocelyn hat Visionen, die sich häufig auch bewahrheiten. Wirklich gelungen ist die Einführung dieses Motivs durch Jocelyns Charakterisierung auf den Seiten 6 bis 7. In ihrem Umfeld passieren gruselige und bedrohliche Dinge, Freundinnen verschwinden, Attentate werden verübt. Doch leider wird dieses Motiv der seherischen Fähigkeiten kaum dramaturgisch ausgenutzt. Hier hätte sich die Möglichkeit eines Spiels mit der Informationsvergabe eröffnet. Durch Visionen einer Figur kann man wunderbar anzweifelbare und dennoch Bedrohung und Spannung erzeugende Informationen einstreuen, welche dann die Handlung lenken.
Wirklich schade ist es um die titelgebende Smaragdkönigin, die angeblich mit dem Teufel im Bunde ist. Diese wird zwar mehrfach in Mutmaßungen erwähnt, schafft es aber kein einziges Mal, wirklich Angst zu machen. Eine knackige Vision hätte hier nicht geschadet. Als sie nach
59 Seiten endlich in Erscheinung tritt, erlebt man eine unsichere Person, der man kaum die böse Kriminelle abkauft, geschweige denn die Teufelin. Zu dieser mächtig dünnen Geschichte passt das Ende: natürlich ist es ein Deus-ex-Machina, welcher die Smaragdkönigin dahinrafft: sie verunglückt in einer ihrer Minen und alles ist wieder gut. Das ist nicht Irrlicht und schon gar nicht Grusel, wo man schon echten Teufeln (z.B."Einladung zum Hexenclub") oder echten Kriminellen und Mördern (z.B. "Der verborgene Schatz") begegnet.
Von Anfang an werden Figuren eingeführt, über die nicht viel ausgesagt wird. Noch dazu überschneiden sich die Namen: Professor Goswin ist nicht gleich Professor Goswin, da dieser Name für Junior und Senior gilt (dies fällt besonders auf S. 21 auf). Der Senior heißt Rick, genau so wie Jocelyns Bruder Henrik einmal genannt wird (S. 44). Die Beteiligten Damen Maxine und Mariella bergen auch einiges Verwechslungspotenzial. Dadurch entsteht Verwirrung, die durch eine klarere Abgrenzung der Charakterisierungen hätte vermieden werden können. Dies hätte kein Problem dargestellt, wäre die Verwirrung Teil der Dramaturgie gewesen, etwa durch Vermittlung der Perspektive der Protagonistin, die selbst verwirrt und verunsichert ist durch die Geschehnisse. Doch dies ist keineswegs der Fall.
Der Rest sind Kleinigkeiten: Ansätze mit größerem Potenzial, das nicht ausgeschöpft wurde, etwa Jonas' Traum (S. 17) oder die Figur des Lorenzo Bondi. Auch dass das Telefon abgehört wird, bleibt bloße Vermutng. Die Romanze im Nebenstrang (oder ist es doch der Hauptstrang?), beeindruckt durch das hohe Tempo, zwischen leichter Abneigung (Jocelyn ist zunächst etwas kratzbürstig) und Heiratsantrag vergehen nur wenige Seiten und noch weniger Handlungstage.
Der Umgang mit Details ist wenig sorgsam. Ein Beispiel: auf S. 62 erfährt man, dass Gregory den (vergifteten) Tee der Bösen vorsichtshalber abgelehnt hat, auf S. 61 wird aber schon der schale Nachgeschmack dieses (abgelehnten) Tees erwähnt. All diese Unachtsamkeiten schmälern die Unterhaltung.
Freitag, Juli 21, 2006
Der Kommissar: "Ein Playboy segnet das Zeitliche" (ZDF 1975)
Interessant ist der Typ des Playboys: ein Lebensstil ohne feste Bindungen (insbes. ohne Familie), erlebnis- und konsumorientiert, Arbeitsscheu (Mandy ist Milionenerbe und kann es sich leisten). Der Playboy lebt in Nachtclubs und in häufig wechselnden Geschlechtsbeziehungen. Dieser Lebensstil verbreitete sich offensichtlich in den späten Sechzigern und war der älteren Generation ein Dorn im Auge, weil sie sich ein dermaßen sorgloses Leben nicht vorstellen konnte (so wie sie kaum nachvollziehen kann, dass junge Leute so wenig Probleme haben, dass sie sich selbst welche machen). Dazu passt die konservative Aussgae, dass Mandy seinen zukünftigen Mörder selbst eingeladen hat.
Was macht diesen Typ also aus? Sein Auftreten ist Schauspiel und Maskerade, denn in Wirklichkeit ist er scheu (dass die tragische Elisabeth, Alberts Schwester, dies herausfand, machte Mandy große Angst, sodass er sich trennte). Er spielt den allseits Beliebten, was aber nur auf seinem Geld beruht, das er so freigiebig verteilt. Dieses Geld kauft gute Laune und diese zieht sogenannte Freunde an. Sein Äußeres ist Klischee. Der weiße Seidenanzug, das offene schwarze Hemd, der auffällige Sportwagen zeigen schon von weitem an, was es hier gibt, die wörtlich genommene Einladung zum Fröhlichsein auf Zeit.
Weitere Überlegungen zum Typ des Playboys und seiner Inszenierung in Film und Fernsehen der 50er und 60er-Jahre wären lohnenswert...
>> Vgl. Brück, Ingrid, Andrea Guder, Reinhold Viehoff, Karin Wehn: Der deutsche Fernsehkrimi. Stuttgart, Weimar 2003, S. 148-157.
Sonntag, Juli 02, 2006
Die digitale Identität - Ansätze aus Linguistik und Literaturwissenschaft
Elizabeth Albrycht zeigt in ihrem Aufsatz "Thinking about Digital Identity"sehr deutlich auf, wie sehr diese Identität als ein virtuelles Konstrukt aus Selbstdarstellung und Fremddarstellung entsteht. Nicht nur die eigene Darstellung formt Identität und Reputation, sonder auch - und das in viel größerem Maße - das durch andere publizierte Fremdbild. Albrycht bezeichnet die moderne Person deshalb als Cyborg: eine reale (das gilt auch für die juristische) Person mit einer künstlichen, digitalen Komponente der Identität. Die Identität ist die Schnittmenge aus einem Netzwerk von anderen digitalen Identitäten.
Im Zusammenhang mit dem Netzwerk ist Albrychts Hypothese der Identität (wenn man diese Überlegung denn schon als Hypothese bezeichnen möchte): "doesn't identity in some ways reflect the sum of our relationships?". Damit wird die Kerneigenschaft der Social Software angesprochen: man schreibt eigene Beiträge, die mit anderen verlinkt sind, man kommentiert fremde Beiträge und bekommt Kommentare eigener Beiträge. Alle diese auf andere bezogenen Äußerungen formen die Identität. Dieser Ansatz entspricht überraschenderweise der Definition des Charakters (d.h. der Identität) der dramatischen Figur bei Manfred Pfister: "als die Summe der Korrespondenz- und Kontrastrelationen zu den anderen Figuren des Textes" (p. 225). Damit ist die Identität allerdings auch nicht nur qualitativ erfassbar, sondern auch quantitativ. Das ist genau die Besonderheit der Social Software: man definiert sich nicht allein über die Qualität der eigenen Aussage, sondern darüber, was man zu anderen Beiträgen sagt bzw. was andere zu den eigenen Beiträgen sagen. Man definiert sich über das Netzwerk.
Die Analyse der Identität - speziell der Unternehmensidentität - kann nach den bewährten Methoden aus der Linguistik und Literaturwissenschaft vorgenommen werden. Die linguistischen Ansätze stellen etwa die kompetenztheoretische Analyse nach Bungarten (in Anlehnung an Chomsky) zur Verfügung. Die Performanz besteht in jeder eigenen Äußerung, wie sie empirisch fassbar ist. Die Kompetenz ist jeweil das Latente, der Performanz zugrunde Liegende, was aus diesen Äußerungen erschlossen werden kann. Besonders interessant ist die von Bungarten hervorgehobene Performanzkompetenz (p. 31), denn diese bezeichnet die Kompetenz, Ziele strategisch umzusetzen. Auch die Performanzkompetenz ist aus der Performanz ableitbar und das wie gesagt quantitativ und qualitativ.
Die qualitative Analyse kann durch die bewährten Methoden der Literaturwisseschaft auf hermeneutischem Wege erfolgen. Letzlich ist ein Selbst- und Fremdbild (die gemeinsam die Identität qualitativ beschreiben) nicht anders zu analysieren als ein lyrischer Text: aufgeteilt in Form und Inhalt. Form: Design, Anordnung, Stil sind ausdrucksseitig von großer Relevanz und lassen wichtige Rückschlüsse auf die Kompetenz zu. Der Inhalt ist erschließbar, z.B. - objektiv - aus einer Analyse der semischen Isotopie. Gleiches gilt nicht nur für die Äußerungen sondern auch für die Beziehungen im Netzwerk an sich, womit sich der Kreis zu Pfisters dramatischer Figur schließt: die eigene Identität definiert sich aus Korrespondenz- und Kontrastrelationen. Das bedeutet, dass man Beziehungen zu anderen Unternehmen und zu Opinion Leadern (z.B. zu A-List-Bloggern) pflegen sollte und das bedeutet auch, dass man Kritik wahrnehmen und darauf reagieren muss. Darauf müssen sich Unternehmen vorbereiten.
Ein Unternehmen ohne hinreichende Performanzkompetenz wird ein besonders schwaches Netzwerk aufweisen und jede Fremdäußerung ignorieren; wahrscheinlich verfügt es nur über eine statische Internetpräsenz, die womöglich seit Jahren nicht überarbeitet wurde. Die Herausforderung an Unternehmen besteht heutzutage darin, die Identität aktiv voranzubringen und sich seine Reputation im Dialog zu erarbeiten. Dialog meint hier gerade nicht, dass man Newsletter herumschickt, welche i.d.R. automatisch gelöscht werden, sondern dass man über die Entwicklung im Netzwerk auf dem Laufenden bleibt (etwa durch Monitoring) und aktiv kommentiert. Das ist sicherlich ein Aufwand, den noch viele scheuen, weil sie denken, diese neue Vernetzung durch Social Software sei eine weitere Luftblase. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich dieses Networking auszahlt bzw. dass eine Unternehmensführung ohne aktive digitale Identität bald gar nicht mehr möglich ist.
Litaratur:
>> Manfred Pfister: Das Drama. München 1988.
>> Theo Bungarten: "Die Unternehmenskultur aus semiotischer und kompetenztheoretischer Sicht. Zur materiellen und 'geistigen' Repräsentationsebene der Unternehmenskultur." In: Ders. (Hrsg.): Unternehmenskultur als Herausforderung für Gesellschaft und Unternehmen. Tostedt 1994, 9-50.
Siehe außerdem:
>> Arbeitsbereich Unternehmenskommunikation Uni Hamburg
Samstag, Juli 01, 2006
Tatort: „Frauenmorde“ (HR 2003) - Teil: II
Die Frauen wollen aus dem eintönigen Hausfrauendasein ausbrechen und das ist der Schlüssel der Geschichte. Sie suchen etwas Geheimnisvolles wie das spirituelle Yoga oder etwas Verruchtes wie Sadomasochismus. Steffi Dellwo ist mit ihrer Ehe unzufrieden. Sie gibt zwar zu, Fritz noch zu lieben und auch keinen anderen zu haben, aber trotzdem verschwindet sie plötzlich für zwei Wochen nach Lanzarote und möchte danach ausziehen. Dellwos Kollege Fromm beruhigt ihn, das sei normal. Später wird klar, dass auch sie mit dem Mörder verkehrte. Es scheint, als langweilten sich diese Frauen in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter und in ihrer weißen, verkehrsberuhigten Umgebung. Die „insgeheime[n] Wünsche der Zuschauer“ (Hickethier 1985, S. 190) werden hier angesprochen, allerdings – und das ist ungewöhnlich – nicht aus der Perspektive der Täter, sondern Opfer. Die Motivation des Täters ist dagegen sehr einfach benannt und nicht weiter differenziert: er hat ein abnormes Sexualverhalten und ist als Serienmörder psychisch krank. Im Übrigen wird in Sängers Affäre mit einem verheirateten Mann deutlich, dass die Langeweile nicht nur die Frauen betrifft, sondern ebenso auch Männer, die dann fremdgehen.
Die typische Struktur des Krimis wird eingehalten, wenn auch der beschriebene thrillertypische Spannungsbogen dazukommt. Damit ist „Frauenmorde“ ein gutes Beispiel des Charakters der neuen HR-Tatorte, welche die Reihe durch Thrillerelemente ergänzen. Die vielen Möglichkeiten einer Verdächtigung und die zahlreichen gut inszenierten Finten machen diesen Tatort sehr sehenswert. Zusätzlich zur üblichen Moral der Täterperspektive „Verbrechen lohnt sich nicht“, der sich aus dem gescheiterten Versuch des Serienmörders ergibt, die Normen außer Kraft zu setzen, kommt aus der Opferperspektive eine Aussage dazu, die das langweilige Familiendasein in der Reihenhaussiedlung positiv hervorhebt und vor den Gefahren der Anonymität und vor allem der Gefahr, die positiv besetzte Familie zu verlassen warnt. Damit ist die Aussage dieses Tatorts dem besprochenen Irrlicht-Roman nicht unähnlich.
>> Tatort: „Frauenmorde“ (HR 2003) - Teil: I
>> Hörbuch-Tatort "Frauenmorde"
Mittwoch, Juni 28, 2006
Tatort: „Frauenmorde“ (HR 2003) - Teil: I
Wie sich schließlich herausstellt, handelt es sich bei dem heimlichen Videofilmer tatsächlich um den Serienmörder, der als Steward die ganze Welt bereiste und in verschiedenen Ländern in Flughafennähe Frauen nach dem selben Muster umbrachte. Durch die fortwährenden Bilder der Videokamera und des Geländewagens ist dieser Mann der Hauptbezugspunkt aller Verdächtigungen und Mutmaßungen seiner Identität. Ist er einer der Ehemänner der Ermordeten: Karp und Richter, oder der offensichtlich geistesgestörte Mann, der Sänger die Handtasche klaut und so den Schauplatz Frankfurt am Main als verkommenes Pflaster hinstellt? Der Handtaschendiebstahl steht allerdings in keinerlei Bezug zu den Mordfällen. Der Bezug, der hier gewiss hergestellt werden kann, ist eine Finte. Dieser Handlungsstrang verliert sich in der Geschichte: die Tasche wird nicht wiedergefunden. Und auch die Ehemänner scheiden aus: Richter hat ein schnell geprüftes sicheres Alibi und Karp kann selbst nicht der Serienmörder sein, weil er vom Unbekannten gefilmt wird.
Der Täter nahm über einen Internet-Chat Kontakt zu seinen Opfern Ingeborg Karp und Kati Richter auf. Er verabredet sich mit ihnen in einem anonym organisierten Motel zu Blind Dates mit sadomasochistischen Sexspielen. Sowohl Kati als auch Ingeborg hatten offensichtlich schon vorher Bezug zu dieser Form der Sexualität, wie die in ihren Häusern gefundenen Requisiten zeigen. Man nutzt die Anonymität des Internets und des Motels. Die anonyme Atmosphäre erst ermöglicht die sexuell motivierten Blind Dates und macht es dem Serientäter einfach, unerkannt zu morden. Dellwo nennt das Motel: „de[n] perfekten Ort für den perfekten Mord“. Die große Gefahr darin wird u.a. dadurch demonstriert, wie sich Karps Tochter Greta locker im betreffenden Internet-Chat bewegt.
(Fortsetzung folgt)
Weitere Blogbeiträge, welche das Thema Sadomasochismus aus anderen Perspektiven beleuchten:
>> Dave Gordan über Sado-Maso-Schrott
>> JPhoenix über den entsprechenden Stupidedia-Artikel
Montag, Juni 26, 2006
Multimedium Wasser: Die Wasserspiele auf Hamburgs Binnen-Alster (25.6.06)
Die Wasserspiele auf der Alster vereinen Fontainen, buntes Licht, Laser, Videoprojektionen auf Wasserleinwand (Hydroschild) und Musik. Die optische Darbietung schleppt der Musik leicht hinterher, was dadurch etwas verwässert wird, dass die musikalische Dramaturgie ohnehin nicht sichtbar umgesetzt wird. Die Mitwirkung eines Choreografen hätte evtl. noch einiges retten können. Die Laser, offenbar als Höhepunkteffekt eingeplant, erweisen sich einmal wieder als aus der Mode gekommen, weshalb sie auch aus den Multiplexkinos inzwischen weitgehend wieder verbannt wurden. Die Technik der Videoprojektion scheint eine gute Idee, ist aber alles andere als ausgereift (oder war es nur zu windig?). Die Auswahl der Spots unterstützt zudem nur den Eindruck der Langeweile. Nass und bunt.
Wer sich gern in Hamburg ein ästhetisches und liebevoll konzipiertes Wasserlichtspektakel ansehen möchte, dem sei wärmstens empfohlen, noch einige Schritte weiter zu Planten un Blomen zu gehen. Computersteuerung kann eben doch noch keine manuelle Arbeit ersetzen. Ansonsten bleibt für einen netten Abend auch noch, eine schöne Kamin-DVD einzulegen. Die Wasserlichtspiele auf der Alster passen jedenfalls zu den "Blue Goals", die Hamburg glücklicherweise auch nicht mehr allzu lange erhalten bleiben. Immehin weiß jetzt alle Welt, dass Hamburg "se gohl to se wörld" ist.
>> Das Hamburger Abendblatt dazu
Sonntag, Juni 25, 2006
Irrlicht: "Einladung zum Hexenclub, doch Eleanor Taylor bricht die Regeln"
Denis', inzwischen mit Ziegenkopf, ruft Expertin Brenda Logan zu Hilfe. Natürlich kann sie den Zauber zerstören, aber dies auch nur weil sie alle Werte, an denen es den Hexen mangelt, vertritt und in einer romantisch erfüllten Beziehung lebt.
Ihr geheimster Wunsch ist also nichts Banales, wie einen fremden Mann auf der Straße aufzulesen, mit Hexengebräu abzufüllen und zu vernaschen. Mit der Erfüllung von Brenda Logans geheimsten Wunsch manövriert sich der Fürst der Finsternis selbst ins Abseits und alles wird wieder gut. Die Unzufriedenen haben ihre Lektion gelernt: wer freundlich und hilfsbereit ist, findet einen netten Partner zum Liebhaben und nur das führt zum wahren Glück. Selbst die weiße Hexe Magda Elwood ist da im Unrecht: sie blieb ihr Leben lang einsam und trägt schließlich auch selbst dazu bei, dass Satan sich manifestieren kann.
Spannung wird einfach, aber wirksam durch eine Parallelführung der Stränge erreicht. Die letztlich etwas konservative Aussage (die sich auch in der alten Rechschreibung formal wiederfindet) tut dem Witz und dem wohligen Gefühl, dem Guten beim Siegen zuzusehen, keinen Abbruch. Für den ganz eingenen Stil dieser Werke muss man sich allerdings schon etwas begeistern können.
Donnerstag, Juni 22, 2006
Anheuser zieht den holländischen Fans die Hosen runter, und nun?
Was hätten andere Brauereien nur dafür gegeben, vorher von der Aktion gewusst zu haben ... sie hätten so schön Ersatzhosen ohne Aufdruck im Tausch gegen die bösen Anheuserhosen verteilen können und so eine Menge guten 'Buzz' für sich erzeugt.
Wie kann die Brauerei jetzt ihre Reputation noch retten? Ich vermute, die einzig mögliche Aktion, wäre für das Management, jetzt ebenfalls die Hosen runter zu lassen und sich öffentlich bei allen zu entschuldigen. Das Vorgehen der FIFA steht auf noch einem anderen Blatt...
>> Site-9 über die Marketingaktion mit Bumerang-Effekt
>> Guerilla-Marketing-Blog
>> Freibierspenden der Brauerei für diesen Gratis-Tipp erbeten ;-)