Freitag, November 10, 2006

Roland Barthes: "Mythen des Alltags"

In seinem Werk "Mythen des Alltags" von 1964 (deutsche Fassung) geht Roland Barthes auf die semiotische Qualität des Mythos ein. Ziel ist es, dem Mythologen ein Handwerkszeug zu geben, Mythen (des Alltags) aufzudecken und sie damit zu zerstören, was der Gesellschaft eine Entwicklung ermöglichen soll.

Schematisch stellt der Mythos sich ganz ähnlich der Konnotation dar: ein komplettes Zeichen aus Bedeutendem (Signifiant) und Bedeutetem (Signifié) wird zum Bedeutendem eines Zeichens auf einer weiteren Ebene, womit verbunden ist, dass es mit einem weiteren Bedeutetem verbunden wird. In der Metasprache verhält es sich umgekhert: hier wird ein vollständiges Zeichen zum Bedeuteten.

Was nun die Konnotation vom Mythos unterscheidet geht aus Barthes' "Mythen des Alltags" und "Elemente der Semiologie" nur indirekt hervor: während die konnotative Bedeutung mehr oder minder gleichberechtigt neben der denotativen (ursprünglichen) Bedeutung steht, drängt der Mythos die denotative Bedeutung in den Hintergrund. Er überlagert sie. Etwa konnotiert Freitag der 13. Unglück. Das ändert aber nichts an der denotativen Bedeutung dieses Tages, an dem man Termine haben kann usw. Die Person Ludwig Erhards verbalsst mittlerweile dagegen völlig hinter dem Mythos des Wirtschaftswunders. Man kann nicht behaupten, Ludwig Erhard würde das Wirtschaftswunder konnotieren. Wenn heute in einem Zeitungsartikel von Erhard die Rede ist, verkörpert er geradezu das Wirtschaftsunder. Das ist die Funktion des Mythos.

Der hauptsächliche gesellschaftliche Effekt des Mythos ist es nach Barthes, den Zustand aufrecht zu erhalten: "Zweck der Mythen ist, die Welt unbeweglich zu machen" (S. 147). Damit ist der Mythos der Revolution entgegengesetzt. Die Revolution und der Mythos schließen einander aus (und wenn eine Revolution Mythos wird, ist das wieder ein Zeichen von Stillstand).

Barthes' Beispiele sind zahlreich; besonders eindrucksvoll ist das Beispiel zum Umgang des Kleinbürgers mit Fremden: "Einer hat keine weiße, sondern eine schwarze Haut, jener andere trinkt Birnensaft und keinen Pernod. Wie den Neger oder den Russen assimilieren? Hier gibt es nur eine Rettung: den Exotismus. Der Andere wird zum reinen Objekt, zum Spectaculum, zum Kasperle. An die Grenzen der Menschheit verwiesen, stellt er für das Zuhause keine Gefahr mehr dar." (S. 142f.) Hier wird klar, dass durch Witze und Schauermärchen über alle Fremden (und sei es nur, dass sie nicht arbeiten, sondern stehlen), den eigentlichen Menschen mit seiner Identität und seinen Fähigkeiten so weit in den Hintergrund drängen, dass er kaum mehr existiert. Der Mythos entwertet den anderen und verbindet die kleinbürgerlichen Urheber dieses Mythos.

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