Freitag, Dezember 22, 2006

Big Brother is watching you...

...but who is watching Big Brother?

(via Popkulturjunkie)

In einer atemberaubenden Frist von mehr als 21 Monaten wurde der nicht mehr existierende Sender MTV2 Pop von der Hamburger Anstalt für neue Medien (HAM) abgemahnt.

Hintergrund ist die Bestrafung einer Big Brother-Kandidatin für das Vergehen, Briefe in die Außenwelt des berühmten Containers geschmuggelt zu haben: sie wurde zehn Stunden lang in einem kahlen Raum eingesperrt (also innerhalb der Einsperrung noch einmal ... bei Donoso lernen wir, dass dies nirgendwo sonst enden kann als in der Auflösung des Subjekts). Und so eigesperrt wurde sie zehn Stunden lang mit dem gleichen Musiktitel beschallt. Ähnliche Strafen wären denkbar, etwa zehn Stunden lang Big Brother anzusehen. Eigentlich wurde sie auch nur dafür bestraft, etwas den voyeuristischen Blicken des Publikums entzogen zu haben: ihre Briefe an den Freund - denn jederzeit hätte es ihr freigestanden, ihm alles offen im TV mitzuteilen.

Wie diese Sequenz dramaturgisch eingebunden war, lässt sich jetzt nur noch schwer rekonstruieren. Wie es scheint, wurde ein ohnehin labiler Mensch (die Kandidatin schrieb Briefe an ihren Freund) in eine zusätzlich destabilisierende Situation gebracht, um authentische starke Emotionen zu produzieren. Diese führen im Idealfall zu empatischen Reaktionen (d.b. mit der Leidenden mitzufühlen), andererseits aber auch zu Schadenfreude zunächst bei den Mitbewohnern. Als Folge sollen die Zuschauer nun empatisch mit der Eingesperrten und den anderen fühlen, andererseits aber auch die Schadenfreude empfinden, weil es weder sie selbst noch ihren möglichen Favoriten im Spiel betrifft. Der Effekt ist, wie bei Aristoteles beschrieben, eine Mischung auf Eleos und Phobos (Mitleid und leichter Grusel, der daraus entsteht, sich selbst in die Situation hineinzudenken), Schadenfreude, letztlich Katharsis - der positive Nachgeschmack aus der "Reinigung" von diesen Gefühlen. Vergleiche mit Gladiatorenkämpfen oder öffentlichen Folterungen liegen auf der Hand.

Die Abmahnung bemängelte, dass diese Darstellung geeignet sei, Jugendliche unter 16 Jahren sozialethisch zu desorientieren. Meines Erachtens ist es pure Menschenverachtung und geeignet, jeden gesunden Menschen sozialethisch zu desorientieren. Das Angebot zu jeder Zeit das Spiel (um viel Geld) abzubrechen, ist dabei keine Option. Ob eine Ausstrahlung nach 22 Uhr etwas an der Tatsache ändert, ist also höchst fraglich. Eigentlich wähnte man sich über die Phase öffentlicher Folterungen hinweg, weil es ja genau dafür gesellschaftliche Einheiten gibt, die ein Auge darauf haben sollten.

Bedauerlich ist die lange Reaktionszeit der HAM. Jetzt ist diese Abmahnung weder geeignet ähnliche Fälle verhindert zu haben, noch ein funktionierendes Exempel zu statuieren. Wer mit menschenverachtenden Mitteln Quote machen will, hat jedwede Handhabe dazu.

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