Samstag, Juli 01, 2006

Tatort: „Frauenmorde“ (HR 2003) - Teil: II

Die Frauen, die im SM-Kreis verkehren, Kati Richter, Ingeborg Karp und sogar die Frau des Ermittlers Steffi Dellwo, sind außerdem Mitarbeiterinnen bzw. Kundinnen eines Fitnessclubs. Sie gehören zu einer spirituellen Yoga-Gruppe. In ihrer Inszenierung hat diese Gruppe durchaus sektenähnlichen Charakter. Geht man allerdings von der Einordnung der Opfer in diese Gruppe aus, um dort einen Zusammenhang mit dem Mord zu suchen, handelt es sich um eine weitere dramaturgische Finte. Der Club ist lediglich ein Ort der Zusammenkunft für die Frauen. Vermutlich lernten sie sich dort kennen und tauschten sich auch irgendwann über sexuelle Themen aus. Außerdem sind sie Nachbarinnen. Ihr direktes Umfeld, ist die Heddernheimer Siedlung: neuere weiße Reihenhäuser mit kleinen Gärten in verkehrsberuhigter Zone. Es ist eine typische Siedlung für junge Familien, wo die gute Nachbarschaft als Gegenteil der Anonymität vorherrscht. In der Gegensätzlichkeit dieser beiden Milieus wird auch die Funktion des bereits beschriebenen dramaturgischen Bogens um den heimlichen Videofilmer deutlich.

Die Frauen wollen aus dem eintönigen Hausfrauendasein ausbrechen und das ist der Schlüssel der Geschichte. Sie suchen etwas Geheimnisvolles wie das spirituelle Yoga oder etwas Verruchtes wie Sadomasochismus. Steffi Dellwo ist mit ihrer Ehe unzufrieden. Sie gibt zwar zu, Fritz noch zu lieben und auch keinen anderen zu haben, aber trotzdem verschwindet sie plötzlich für zwei Wochen nach Lanzarote und möchte danach ausziehen. Dellwos Kollege Fromm beruhigt ihn, das sei normal. Später wird klar, dass auch sie mit dem Mörder verkehrte. Es scheint, als langweilten sich diese Frauen in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter und in ihrer weißen, verkehrsberuhigten Umgebung. Die „insgeheime[n] Wünsche der Zuschauer“ (Hickethier 1985, S. 190) werden hier angesprochen, allerdings – und das ist ungewöhnlich – nicht aus der Perspektive der Täter, sondern Opfer. Die Motivation des Täters ist dagegen sehr einfach benannt und nicht weiter differenziert: er hat ein abnormes Sexualverhalten und ist als Serienmörder psychisch krank. Im Übrigen wird in Sängers Affäre mit einem verheirateten Mann deutlich, dass die Langeweile nicht nur die Frauen betrifft, sondern ebenso auch Männer, die dann fremdgehen.

Die typische Struktur des Krimis wird eingehalten, wenn auch der beschriebene thrillertypische Spannungsbogen dazukommt. Damit ist „Frauenmorde“ ein gutes Beispiel des Charakters der neuen HR-Tatorte, welche die Reihe durch Thrillerelemente ergänzen. Die vielen Möglichkeiten einer Verdächtigung und die zahlreichen gut inszenierten Finten machen diesen Tatort sehr sehenswert. Zusätzlich zur üblichen Moral der Täterperspektive „Verbrechen lohnt sich nicht“, der sich aus dem gescheiterten Versuch des Serienmörders ergibt, die Normen außer Kraft zu setzen, kommt aus der Opferperspektive eine Aussage dazu, die das langweilige Familiendasein in der Reihenhaussiedlung positiv hervorhebt und vor den Gefahren der Anonymität und vor allem der Gefahr, die positiv besetzte Familie zu verlassen warnt. Damit ist die Aussage dieses Tatorts dem besprochenen Irrlicht-Roman nicht unähnlich.

>> Tatort: „Frauenmorde“ (HR 2003) - Teil: I
>> Hörbuch-Tatort "Frauenmorde"

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