Donnerstag, Dezember 09, 2010

Guerilla Marketing

Nicht nur Eckart von Hirschhausen meint, diese Aktion sei 'das absurdeste PR-Ding', das er je gesehen habe:



>> Via: Source-Werbeartikel

Montag, November 15, 2010

Sonntag, November 14, 2010

Skurril

Missbrauch der eigenen Marktposition kann man Telefónica Deutschland nicht vorwerfen: Tippt man als Alice-Kunde fehlerhaft "o2." ohne Top-Level-Domain in die Browserzeile, erscheint die Alice-Suchseite. Nur findet sich dort weder ein Link zum eigenen Angebot noch zum geschwisterlichen Angebot von o2 - das eigentlich gesucht war. Stattdessen werden die größten Mitbewerber angepriesen. Das ist nobel.

Screenshot:

Mittwoch, Oktober 13, 2010

Freud'sche Stilfrage

Sigmund Freud


Der launige Stil-Test der Frankfurter Allgemeinen hat für jeden Text ein anderes erfolgreiches Vorbild auf Lager; das oben stehende war doch einigermaßen überraschend (Probetext war die De Bono-Rezension). Nun denn, eine Umbenennung in "dramaturgische Couch" wird erwogen. (Und nur keinen ***-Neid!)

>> Via: Die Rückseite der Reeperbahn

Sonntag, Oktober 10, 2010

Kreativ: De Bonos neue Denkschule

Kritisches Denken ist der Standard in der westlichen Kultur. Man hält es nicht nur für ausreichend, sondern für überlegen. Insbesondere sind es intelligente, gebildete Menschen, die dem Irrglauben erliegen, ihre gelehrte Meinung sei allein ausreichend und erübrige weiteres Denken. Doch das ist weder kreativ noch effektiv. So werden bekannte Lösungen – auch schlechte – zementiert und schnelle Ideen den guten Ideen vorgezogen. Häufig setzen sich die Menschen durch, die versiert gegen neue Ideen argumentieren können, indem sie einen kleinen Makel herausstellen. Diese Idee wird dann unter großem Triumph eingemottet, statt sie weiterzuentwickeln. Damit räumt Edward de Bono auf – der Denkforscher und -praktiker mit der weltweit größten Anerkennung.

De Bono stellt in kurzen Kapiteln zahlreiche Methoden vor, die Denken systematisieren, Sackgassen aufzeigen und umgehen helfen und so zu einem kreativeren und vor allem produktiveren Denken führen. Die Methoden unterstützen unterschiedliche Stufen des Denkprozesses. Sie helfen, Alternativen zu finden, zu beurteilen und die Ideen anderer besser zu verstehen, ohne darüber zu früh zu urteilen.Verfrühte Urteile behindern das Denken. Etwa nutzt de Bono vermeintlich unbrauchbare Ideen als Hilfsmittel, weiter zu denken und neue Richtungen zu finden, anstatt sein Ego zeitaufwendig mit dem Nachweis zu aufzublasen, dass diese oder jene Idee schlecht ist. Wichtig ist dafür eine bewusste Wahrnehmung. Da Wahrnehmung auf Muster zurückgreift ist es notwendig, diese Muster zu erkennen, um neue Richtungen einzuschlagen. De Bono prägte dafür den Begriff laterales Denken: eine Denkform die nicht wertend und hochflexibel ist.

Bei de Bono ist der Leser gefordert durchgehend mitzudenken, um die Ausführungen zu verstehen und vor allem auszuprobieren. Der sehr flüssige und unprätentiöse Text erleichtert dies. Hinderlich sind die vielen Abkürzungen, die de Bono für seine Methoden verwendet – allerdings argumentiert er selbst für deren Nutzen gegenüber selbsterklärenden sprachlich schönen Ausdrücken. Einige der Übungen sind zudem nur schwer nachzuvollziehen, weil eine Erklärung fehlt, wie man es richtig macht. Wer die „neue Denkschule“ allerdings mit wachem Geist durchgeht, wird immer wieder die Erfahrung machen, wie stark er oder sie selbst dem urteilenden Denken verhaftet ist und wie bequem es doch ist, eine vorgefasste Meinung als Lösung zu akzeptieren, statt nach neuen Ideen zu suchen. Die Übungen zeigen: Es kostet Überwindung, ohne die fast immer vorhandene eigene Meinung zu denken. Diszipliniertes Training und formelles Arbeiten ist unerlässlich, um de Bonos Methoden zu erlernen. Dass de Bono Denken auf kurze hochkonzentrierte Phasen beschränkt, ist dabei eine positive Erleichterung.

Für die kreative Arbeit mit Sprache oder Filmdramaturgie sind de Bonos Methoden gut einsetzbar – auch einzeln. Auch wenn der explizite Bezug nicht hergestellt wird, werden Lesern mit dramaturgischem Blick viele Feststellungen (etwa zur Wahrnehmung) bekannt vorkommen. Ein praktischer Nutzen lässt sich leicht herstellen. De Bono erklärt das Denken und Handeln unterschiedlicher Personen (innerhalb ihrer „logischen Blase“), wie es auch in der Figurengestaltung einsetzbar ist. Und er gibt Hinweise, wie man aus unproduktiven Denkrichtungen wieder zum kreativen Weg zurückfindet. Allein wenn eine der Methoden haften bleibt und bei der Arbeit hilft, hat sich dieses schmale Buch schon seine Empfehlung verdient.

Mittwoch, August 25, 2010

Brett Domino

In UK schon fast eine Legende: Brett Domino und sein Trio.
Hier eine kleine Würdigung ihrer enormen Kreativität:



>> Siehe auch Bretts Youtube-Channel.
>> Via: Sheng-Fui

Samstag, Juni 26, 2010

"Ubuntu" von Stephen Lundin und Bob Nelson

Nur faule Saboteure im Team? Das muss nicht sein, würde Stephen Lundin jetzt sagen.

Lundin verkauft Ideen rund um das Thema Motivation. Im April erschien sein und Bob Nelsons neuestes Werk auf dem deutschen Buchmarkt: "Ubuntu" verarbeitet afrikanische Philosophie (vielen wahrscheinlich bekannt durch die gleichnamige Linux-Distribution).

Verpackt in die schnurrige Geschichte um den Welt-Konzern Bulls Eye erzählt Lundin, warum, wie und mit welchem Effekt Ubuntu im geschäftlichen Handeln eingesetzt werden sollte. Die Geschichte lässt sich auf einen Satz zusammenfassen: Man muss jedem Menschen Respekt entgegenbringen; nicht weil er fleißig ist oder besondere Dinge leistet, sondern weil er ein Mensch ist. Die Erzählung bleibt dabei meist sehr oberflächlich und vorhersehbar. Damit bleibt das Buch als Fachbuch zu märchenhaft und als Märchen zu fachlich, vielleicht zu banal.

Mit amerikanischem Pathos kommt die Weisheit aus Afrika daher, als Simon den Schatz seiner Erfahrung verteilt. Er ist in Südafrika mit Ubuntu groß geworden; Ubuntu ist für ihn so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen. Er rettet mit diesem Wissen seinen Vorgesetzten, John, der – trotz aller Managementseminare – große Probleme mit seinem Team hat. John beginnt einzusehen, dass nicht seine Mitarbeiter faul und böse sind, sondern er selbst als Manager vielleicht neue Wege einschlagen muss.

Moden kommen und gehen im Management. Lundin ist sich dessen bewusst und seine Figuren  sprechen den Zynismus offen an, „mit dem viele Mitarbeiter neuen Management-Programmen mittlerweile begegnen“. Die abschließenden Kapitel widmen sich deshalb der Aufgabe, genau dem vorzubeugen. Ubuntu soll weder per Dekret noch als Projekt eingeführt werden. Ubuntu funktioniert nur, wenn es aus dem Wunsch der Mitarbeiter selbst zum Teil der Unternehmenskultur wird.

Die handelnden Figuren sind stark typisiert und funktionalisiert, um einen möglichst plakativen Eindruck zu geben. Man wird sie nach der Lektüre vermutlich so schnell vergessen, wie man sie kennen gelernt hat, und das weist auf den positiven Aspekt des Buches hin: Es ist in sehr flüssigem Stil verfasst und zieht den Leser förmlich durch die 155 Seiten. Auf einer Bahnreise mittlerer Länge kann man es wahrscheinlich komplett lesen.

Wikipedia stellt fest: „In der ruandischen/burundischen Sprache bedeutet Ubuntu Gratis.“ Bleibt also zu hoffen, dass Lundins Werk nicht umsonst ist und Afrika auf diesem Weg beginnt, Menschlichkeit in die Welt zu bringen, wie es der mehrfach zitierte Bürgerrechtler Steve Biko prophezeit.

Freitag, Juni 11, 2010

"Die Kreative Matrix" von Philip Parker

Vor nur vier Jahren war sie bereits angekündigt: die Rezension von Die kreative Matrix des britischen Autors Philip Parker. Das Buch richtet sich an alle, die mit Drehbüchern zu tun haben, vornehmlich an Autoren.

Parker entwirft besagte Matrix, um kreative Prozesse einer Filmerzählung strukturiert und in ihren Abhängigkeiten zu erläutern. Sie besteht aus den in Paaren gruppierten Elementen Geschichte und Thema, Form und Handlungsführung sowie Genre und Stil. Die Ordnung könnte sehr wohl auch eine andere sein, dennoch gelingt es Parker, eine eigene Nische zwischen anderen Drehbuchratgebern zu besetzen und Aspekte anzusprechen, die andernorts nicht vorkommen (etwa bei Linda Seger, Eugene Vale und schon gar nicht bei Syd Field). Parker wird seinem Anspruch gerecht, diese Aspekte nicht vereinzelt herauszugreifen, sondern in ihrer Abhängigkeit darzustellen, wenngleich er dabei auch Themensprünge macht und verständlicherweise auf 318 Seiten nicht alles im gebührenden Umfang behandeln kann. Als einer der wenigen geht er speziell auf Genres ein, kann aber auch dieses Thema nicht ausführlich behandeln. Der Ton des Buches ähnelt dabei schon sehr Parkers Kollegen.

Schnell zeigt sich, dass die - von Parker belächelten - Absolventen der Literaturwissenschaften ein theoretisches Basiswissen mitbringen, das handwerklich richtig angewendet jeden einzelnen Drehbuchratgeber in den Schatten stellt. Die Unterscheidung zwischen Geschichte und Erzählung (als perspektivische und nicht-chronologische Aufbereitung der Geschichte), die Parker nahezu bahnbrechend feststellt, ist eine Grunderkenntnis der Narratologie und lässt sich bei Gérard Genette umfassend nachlesen.

Leider sieht Parker davon ab, Ergebnisse der narratologischen Forschung zu verwenden. Stattdessen definiert er gern selbst, bleibt dabei jedoch vielfach nebulös. Erläuterungen wie die unterschiedlicher Arten von Zeit: "3. Gefühlte Zeit. - Dies ist die Zeit, die durch die Länge oder den Winkel einer Einstellung und/oder die Aneinanderreihung von Einstellungen zum Ausdruck gebracht wird" (S. 50) erschließen sich nur schwer. Sehr fraglich ist beispielsweise auch die Trennung von Thema und Geschichte, wie Parker sie vornimmt. Danach basieren Filme entweder auf dem einen oder dem anderen. Zuweilen drängt sich der Eindruck auf, Parker schriebe diese Definitionen aus dem Stehgreif, statt sich auf bestehende wissenschaftliche Diskurse zu beziehen.

Der praxisnahe Ansatz der Kreativen Matrix wird nur stellenweise durch den leicht sprungahften Aufbau der Argumentation und teilweise sehr lange Checklisten getrübt. Herausragend wird die Nähe zu Praxis, als Parker zum Ende handwerkliche Details erklärt, die bei anderen Drehbuchratgebern fehlen. Man erfährt notwendige Formalien der Drehbücher, die auf einen Blick den Amateur vom Profi unterscheiden. Eine nützliche Handreichung ist auch das Schema der schrittweisen Überarbeitung, das vorbeugt sich zu verzetteln, wenn man alle Aspekte gleichzeitig oder ungeordnet in der Überarbeitung vermischt.

Insgesamt ist Die Kreative Matrix eine interessante Ergänzung zu den bisherigen Drehbuchratgebern insbesondere in den Punkten Überarbeitung und Vermarktung sowie dem Zusammenspiel der Aspekte. Der Praxisbezug ist groß. Ein Studium der Sprach-, Literatur und Medienwissenschaften ersetzt es natürlich nicht. Vor dem Hintergrund, dass ein solches Studium den unabhängigen Umgang mit Film und Drehbüchern ermöglicht, ist Parkers Kritik an Fernsehdramaturgen mit Cambridge Abschluss in Literaturwissenschaften deplatziert - vorausgesetzt die Absolventen haben einen Zugang zum Medium Film.

Donnerstag, Mai 06, 2010

Schauen Sie mal, junger Mann... Frei nach einer wahren Begebenheit

Es begann an einem Tag im Januar vor einigen Jahren. Ich brachte Zeitungen zum Altpapier, musste diese etwas quetschen, weil der Container schon so voll war, da grinste mich eine Frau knapp über Sechzig von Gegenüber des Containers an.
   „Schauen Sie mal, junger Mann.“ Sie hielt ein Ding hoch, das in besseren Zeiten einmal ein Buch gewesen sein könnte.
Es ist allgemein bekannt, dass Bücher bei einigermaßen guter Behandlung kleine Ewigkeiten halten. Immerhin existieren noch Bücher aus Goethes Besitz und selbst weit ältere Schriften (die Texte von Qumran etc.). Dieses Exemplar jedoch war in einem bemitleidenswerten Zustand. Ich kann es dem vormaligen Besitzer in keiner Weise verdenken, es vom Bücherregal, aus dem Bücherschrank, von unterm wackligen Tischbein oder von woauchimmer in diesen Container gebracht zu haben. Noch bevor ich fragen konnte, weshalb ich mir das anschauen sollte beziehungsweise aus welchem Grund die Dame es überhaupt aus dem Container gefischt hatte, fuhr sie fort:
  „Hier sind alte Bücher drin“.
  „Ach so!“
  „Richtig gut erhaltene alte Bücher.“
  „Ach was!“
  „Es ist einfach eine Schande, was die Leute so alles wegschmeißen.“
Mittlerweile war sie mit noch anderen alten Schwarten im Arm auf meine Seite des Containers gekommen und ließ ihr soeben errungenes Buch über den Daumen schlurfen. Neben Kaffee-, Schoko- und anderen Flecken entdeckte ich im Gilb eine Jahreszahl. Sie auch.
  „Das Buch ist erst vier Jahre alt! Na? Hab' ich nun Glück oder hab' ich Glück?“
Bei entsprechender Behandlung war es also sogar möglich, Bücher besonders schnell altern zu lassen. Dann erst fiel mir die Gesellin der Frau auf. Ebenso freudestrahlend hielt auch sie ein Buch in der Hand, dessen dunkelblauer Einband ahnen ließ, dass es dereinst relativ schön und ziemlich teuer gewesen sein muss.
  „Ein Shakepeare!“ Es klang wie Scheeks-Bier. „Den stell' ich mir ins Regal. Schauen Sie mal, wie gut das Buch noch aussieht. Einen Shakespeare habe ich noch nicht, aber schon eine Reihe von Goethe, Schiller und E.T.A. Hoffmann.“ Aufopfernd hielt sie mir ein anderes Buch hin.
  „Novellen. Die wollen wir nicht. Interessieren Sie sich für Literatur?“
  „Ach nein“, schüttelte ich den Kopf. Diese alten Fetzen konnten höchst wahrscheinlich noch ganz andere Geschichten erzählen, als darin niedergeschrieben waren. Jedenfalls hatte ich Bedenken, diese befleckten Schriften anzufassen. Also machte ich die beiden Damen auf einen kleinen Karton aufmerksam, der vor dem Container stand – zusammen mit einigen Plastiktüten voller Zeitungen. Der Ruf des Entzückens der ersten älteren Dame war so laut, dass gleich noch eine dritte hinzukam.

So schossen jetzt sechs Hände auf den kleinen Karton ein. Die der ersten Frau setzten sich durch. Sie holten mehrere alte Bücher hervor, die zugegebenermaßen noch schlechter erhalten waren als die aus dem Container. 
  „Schauen Sie nur! Wahre Schätze! Den Leuten geht es doch zu gut, so etwas wegzuschmeißen. Was ist das hier?“ Sie musste das zerknautschte Buch aufschlagen. Der Titel auf dem Umschlag war nicht mehr zu lesen.
  „Anorganische Chemie! Das ist ja toll! Das nehm' ich meiner Tochter mit.“
Hach, was hätte ich mich gefreut, wenn mich meine Mutter mit solch einem Werk beglückt hätte.
Im Folgenden förderte die Dame noch einige Bände mit Kurzgeschichten und diverse Comics zutage. Langsam begann ich die Sache interessant zu finden, denn eines der Comichefte kam mir spanisch vor.
  „Oh, kann ich das eine Comicheft noch mal sehen?“
  „Das sind jetzt meine, die hab ich mir ausgesucht“, belehrte sie mich, ihren kostbaren Besitz verteidigend. Das Heft war tatsächlich in spanischer Sprache, aber derart abgewetzt, dass es mir langsam schlecht wurde.
  „Die nehm' ich mir mit für die Kinder. Mensch, ist das toll!“, teilte sie uns mit und wandte sich zum Gehen noch einige prüfende Blicke werfend, ob da nicht doch noch mehr kostbare Bücher wären. Sie ging einige Schritte, da konnte ich sehen, wie sie sich mühsam bückte und erneut laut jubelte. Den Hustenbonbon, welchen sie dort gefunden hatte, packte sie sofort aus und steckte ihn in den Mund.

So einfach sind die kleinen und großen Freuden deutscher Rentnerinnen. Wenn man nur mit offenen Augen durch die Welt geht, ist man schnell um einen Shakespeare, ein olles Chemiebuch, spanische Comics, Hustenbonbons und noch vieles, vieles mehr reicher.
Am folgenden Tag war ich in der S-Bahn unterwegs, wo sich einige Scherzbolde mit einer Packung Kondome vergnügt hatten. Ob sie auch einige im Sinne des Erfinders benutzt hatten, wusste ich nicht und wollte es auch nicht wissen, aber sonst war alles dabei. Aufgeblasene Kondome kugelten am Boden herum, andere Kugeln kondomten unter der Decke klebend. Dann waren eine Menge davon zerrissen und lagen beziehungsweise hingen herum. Einige waren sogar noch eingepackt. In dem Moment fiel mir eine ältere Dame auf, die neben der Tür stand. Auch sie hatte die Präservative entdeckt. Ihr Gesichtsausdruck wurde rasch fröhlich und sie bückte sich nach den Verhütungsmitteln. Mit einem Dieweltistinordnung-Gesicht strahlte sie mich an:
  „Schauen Sie mal, junger Mann. Die sind noch eingeschweißt.“ Einige Fahrgäste der S-Bahn hatten ihre Fußabdrücke darauf hinterlassen.
  „Die nehm' ich mit für die Kinder. Da können die sich ja noch einen schönen Abend mit machen“, frohlockte sie und stieg aus.

Diese Szenen erinnerten mich an einen Tag in meiner Kindheit, als ich einem Bauern bei der Kartoffelernte zusah. Der hatte dafür so eine Maschine, die man hinter den Trecker spannen musste, die dann die Kartoffeln automatisch ausgegraben und nach Größe sortiert hat. Wie eine Saatmaschine von Vögeln verfolgt wird, die dann die Saat aus den Furchen picken, so wurde die Erntemaschine von einer Schar älterer Frauen verfolgt, die übrig gebliebene Kartoffeln aus den Furchen lasen und in ihre Körbchen steckten. Der Bauer musste tüchtig aufpassen, keine der Frauen zu verletzen. Hinterher konnte ich noch mit anhören, wie die Frauen gegenseitig ihre Ernte begutachteten:
  „Ich hab' die größten!“
  „Ich hab' die schönsten!“
  „Hach, ist das toll!“
  „Ihre sehen aber matschig aus!“
  „Die matschigen kann man dann ja zuerst aufbrauchen.“
  „Finger weg! Das sind meine!“
Usf.

So sinnierend stieg ich aus der S-Bahn und stolperte fast über eine danieder gehockte ältere Dame, die einen neuwertigen, wirklich gut aussehenden dunkelblauen Blazer in der Hand hielt. Sie schnitt ein Gesicht wie Weihnachten, stand mit glänzenden Augen auf und sagte:
   „Schauen Sie mal, junger Mann. Noch ganz neu, es ist wirklich eine Schande, was die Leute so alles...“ Und da traf sie auch schon die Handtasche der anderen alten Dame ins Gesicht, die ihre Hertie-Tüte mit dem neu gekauften Blazer nur kurz abgestellt hatte, um sich die Nase zu putzen. Ich glaube, als ich hinter einer Plakatwand Schutz suchte, haben sie die beiden Damen schlimme Verletzungen zugefügt.

Langsam schien es mir völlig normal, sich über die abgelegten Dinge anderer zu freuen und ich fühlte ein Befremden, dass ich noch nicht selbst etwas aufgesammelt hatte – mit dem Gesicht eines von Gott Beschenkten. Ich ging an einer eigentlich gut gekleideten alten Dame vorbei, die einen Abfallkorb inspizierte und ließ meinen Blick von links nach rechts über den Boden streifen. Schon nach wenigen Metern hatte ich Glück. Auf dieser Fläche war am Vormittag Wochenmarkt gewesen. Von einem Obst- und Gemüsestand – offenbar – waren zwei Orangen hinab gerollt und lagen jetzt so da. Ich jubelte innerlich und bückte mich. Da überwältigte mich eine alte Dame von hinten. Mit den Worten: „Ich hab' die Apfelsinen zuerst gesehen!“, streckte sie mich mittels eines Faustschlags zu Boden.

In der Zeit, in der ich ohnmächtig war, muss mich eine ältere Dame aufgesammelt haben. Jedenfalls wachte ich in einem roten Backsteinhaus vor den Toren Hamburgs auf, wo man mir erklärte, dass ich ab sofort der Familie G*** gehörte und dass es doch eine Schande sei, „was die Leute so alles wegwerfen“. Ich sollte doch am besten damit beginnen, Holz zu hacken. Erst nach zwei Jahren gelang mir die Flucht.

Dienstag, Mai 04, 2010

Eine Siedlung in Hamburg

(Fotos urheberrechtlich geschützt.)

Freitag, April 30, 2010

Jobwunder

Experten stellen fest: Der deutsche Arbeitsmarkt belebt sich. Insbesondere naturnahe Handwerksleistungen profitieren vom Aufschwung.

Das dramaturgische Kontor hat sich sofort aufgemacht und die Entwicklungen dokumentiert...

(Fotos urheberrechtlich geschützt.)

Dienstag, März 30, 2010

Das Marketing-Geschick des Telefónica Konzerns

Seit 16. Februar 2010 gehört die HanseNet Telekommunikation GmbH mit ihrer Marke Alice dem spanischen Kommunikationskonzern Telefónica. Damit ist Alice/HanseNet die zweite deutsche Marke nach o2 Germany, die von den Iberern gekauft wurde. Den Kunden wurde dies in den letzten Tagen mitgeteilt. Angeblich wurden die Briefe am 25. März versandt und dürften je nach Postgeschwindigkeit langsam bei allen Kunden eingetroffen sein. Die gute Nachricht: Alle Kunden erhalten als wertvolles Geschenk einen Gutschein für einen Prepaid Surfstick zur Abholung im o2-Shop. Inzwischen hat sich im Internet herumgesprochen, dass alle diese Geschenke in Hamburg und Berlin bereits am 26. März komplett vergriffen waren. Stattdessen sieht man momentan vor besagten Shops Menschenmengen, alle mit Gutscheinen wedelnd. Das ist durchaus ein Bild, wie es dem Markenimage förderlich ist: o2 ist eine beliebte Marke und Massen von Menschen möchten offensichtlich dort Kunden werden.


Doch - Spaß beiseite - was bleibt, ist die Erinnerung an unnütze Rennerei, an Enttäuschung, an leere Versprechen, die alle Alice-Kunden mit der Marke verbinden werden, die keinen der gefühlt fünf Geschenksticks pro Shop erwischt haben. Damit hat sich Telefónica einen bemerkenswert schlechten Einstieg beim Alice-Kundenstamm verschafft. Außerdem verbreitet sich das Negativbild in Foren und Blogs. Etwa ist von "üblen Tricks" die Rede. Manche Beiträge erwecken den Eindruck, man müsse direkt neben (oder besser in) dem Shop wohnen, um in den Genuss des Geschenks zu kommen. Auch das Verkaufspersonal, das momentan damit beschäftigt ist, große Mengen von Alice-Kunden zu enttäuschen, wird den Einstieg der neuen Inhaber mit dieser Aktion nicht so schnell vergessen. Wie an einigen Stellen zu lesen ist, wurde versprochen nachzubessern und noch einige Sticks in die Shops zu liefern. Dennoch bleibt zu vermuten, dass der schlechte Eindruck erst einmal bleibt.

Mittwoch, Februar 24, 2010

newTV: Das MTV der Zukunftsmusik und die neue Macht der Fernbedienung

Medien befinden sich wie alles andere auch in ständiger Entwicklung. Momentan scheint diese ziemlich geschwind voran zu schreiten, was auch daran liegt, dass sich bereits eine Menge von Menschen in Positionen befindet, die nicht mehr bezahlbar sind, wenn nicht fortwährend neue Produkte und Dienstleistungen auf die Märkte gebracht werden, für die andere Menschen Geld ausgeben. Welche Entwicklungsrichtungen derzeit das Fernsehen einschlägt, das immer stärker mit der Technologie des Internets zusammenwächst, zeigten am 23. Februar 2010 Redner und Diskussionsteilnehmer auf dem zweiten newTV-Kongress im Hamburger Millerntorstadion auf St. Pauli. Eingeladen hatte die Hamburger Initiative für Medien, IT und Telekommunikation Hamburg@work. Mit fast 200 Vertreterinnen und Vertretern war das Publikum der Branche vertreten, deren Hochburg die Hansestadt ist.

Ähnlich wie 1984 mit der Einführung des privaten Rundfunks in Deutschland steht das Fernsehen momentan vor einem Paradigmenwechsel. So wurde es in den acht Vorträgen (rechnet man die Begrüßung durch den Hamburg@work-Vorsitzenden Uwe Jens Neumann dazu) und der Panel-Diskussion deutlich. Wo es den Programmgestaltern des Fernsehens über viele Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts gelungen ist, den Tag des Publikums zu strukturieren (nach den „Tagesthemen“ ins Bett!), werden es mehr und mehr die Zuschauer selbst sein, die Zeit und Ort des Fernsehens bestimmen. Die Fernbedienung, der die Medienwissenschaften spätestens seit den neunziger Jahren mit ausreichender Zapping-Auswahl eine Machtposition im Quotenkampf einräumen, wird dabei nach wie vor eine wichtige Rolle spielen.

So stellte Rahul Chakkara, Leiter Future Media TV Platforms bei der BBC, eine offene, d.h. abonnementsunabhängige und anbieterübergreifende Set-Top-Box vor, die nicht nur zeitversetztes Sehen, sondern vielseitige interaktive Features bietet. Chat, sei es über Clientsysteme, Facebook oder Twitter, wird direkt integriert. Telekommunikation, Internet und Fernsehen verschmelzen so in eins. Die Navigation erfolgt, wie im „Lean-Back“-Format Fernsehen gewohnt, über eine Fernbedienung. Suchmaschinennutzung schließt Chakkara nach Ergebnissen der Nutzungsforschung derzeit aus. Tastaturen wird in dieser Anordnung kaum jemand nutzen wollen. Doch das impliziert auch die entweder passive Teilhabe am Chat oder die Ergänzung des Systems durch das Mobiltelefon etc. Die Box, welche Fernsehantenne, Internet und Bildschirm verbindet, soll in der finalen Version zu den Olympischen Spielen 2012 für ca. 20 Pfund im Handel sein.

Es wird deutlich, dass das Setzen derartiger Standards nur dann möglich ist, wenn die Finanzierung der Angebote durch funktionierende Konzepte gesichert ist. Die BBC hat es leicht, Qualität anzubieten, ohne mit dem Hut durch die Wohnzimmer zu gehen und Pennies zu sammeln. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist durch die monatliche Pauschale in der Lage, hochwertige Inhalte unbeschränkt anzubieten. Dies sollte ein weiteres Argument in der deutschen Diskussion sein, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk – dem die BBC dereinst Modell stand – die eingezogenen Gebühren auch für Onlineprojekte ausgeben dürfe, wenn Deutschland sich in einer technologischen Vorreiterstellung behaupten will. Dass das ZDF, wie dessen Beauftragter für digitale Strategien Robert Amlung später präsentierte, per Facebook erfolgreich Ladenhüter vermarktet, die ihre Zielgruppe über das zweite Programm nicht mehr erreichen, ist davon erst der Anfang bzw. das Übungsfeld.

Auf welche Art von Content man sich gefasst machen kann, wenn private Anbieter werbe- oder abonnementsfinanziert im newTV aktiv werden, skizzierte Torsten Hoffmann, Senior Partner bei Global Media Consult. Billig wird es werden in jeder Hinsicht. Geld lässt sich nach Hoffmanns Ausführung in diesem Medium nur kleinteilig verdienen: mit minimalen Produktionskosten, „sponsored content“ und Wiederholungen. Baby First TV etwa füllt tageweise Programm mit wenigen Stunden Material: Wie schon von den Tele Tubbies bekannt, haben mehrmals durchgeleierte Sendungen einen pädagogischen Effekt auf die Audienz im Vorschulalter. Die Übertragung wird nicht mehr über umständliche und teure Satelliten laufen, sondern über Web-Server – ausgelagert und automatisiert. Über die Qualität dieser Angebote muss sich schließlich jeder selbst eine Meinung bilden. „Lily the Black Bear“ hat immerhin bereits mehr Facebook-Follower als Lindsay Lohan und letztere befindet sich nicht einmal im Winterschlaf. Lily pennt allerdings unfreiwillig und für Gotteslohn vor der Webcam; der Gewinn ist Reingewinn.

Zum Abschluss waren die Gäste eingeladen, sich bei gedimmtem Licht die mediale Zukunft vorzustellen. Etwa so: Kinder hüpfen wie eh und je auf dem Gehweg umher und spielen Himmel und Hölle. Doch auf dem Pflaster sind keine Kreidestriche zu sehen; von den besonderen Features, die das Spiel der Kinder mit virtuellen Mitspielern und Special Effects bereichern, ganz zu schweigen. Dass diese individuelle Vision keine Spinnerei sein muss, belegte Norbert Hillinger von der Agentur TrendONE in seinem Vortrag über Neuheiten, die bereits auf dem Markt sind oder kurz davor stehen. Beispiele wie das „EyePet“ und der Service „Layar“ lassen sich leicht über Suchmaschinen finden. Die benötigte Kontaktlinse für das „Real Life“-Erlebnis – oder wahlweise das Implantat im Auge – werden derzeit entwickelt.

Es ist also jetzt an der Zeit, ernsthaft über Folgendes nachzudenken: HDTV, 3D-TV, Interaktivität und immer wieder die Monetarisierung durch Werbekonzepte, Abomodelle oder Pay-per-View, ...

Siehe auch reticon.de: Morgen vor der Glotze - newTV-Kongress in Hamburg

> #newtv10
> newtv-kongress.de
> hamburg-media.net
> bbc.co.uk/iplayer

Dienstag, Februar 23, 2010

Vom Wagnis der Onlinepublikation - wenn Schneckenpost kommt

Heute befand sich in meinem Briefkasten ein Umschlag, der offensichtlich als Muster für Sicherheitstrainings in internationalen Organisationen dienen sollte:
  1. Kein Absender
  2. Umschlag wild zusammengeklebt und verschmutzt
  3. Empfängeradresse fehlerhaft
  4. Heillos überfrankiert
  5. Teilweise harter, metallischer Inhalt
So etwas darf man auf keinen Fall öffnen.

Ich habe es getan.

Als Web 2.0 affiner Mensch wurde mir schnell klar, dass man mir hier ein Rabbit Hole geschickt hat. Es handelt sich um die Krankenakte der Lena Maria Guggenmoos, geb. 30.10.1965, die aufgrund guter Ergebnisse eines psychologischen Tests nach einem Nahtoderlebnis in das Seth-Programm aufgenommen wurde.

Und morgen lade ich die gescannten Seiten hoch.

Edit 24.02.2010: Teil I; Teil II - Außerdem lag ein Mikrofilmschnippsel dabei; nicht zu scannen und kaum zu erkennen, aber das Kind, das dort vermutlich bei Psychotests gezeigt wird, scheint mir jünger als die angegebene fünfzehnjährige Lena.

Montag, Januar 25, 2010

Protzen, prahlen, angeben

Gern zu zeigen, was man hat, ist ein verbreitetes Phänomen in Zeiten, die auf Krisen folgen. Als ein unschätzbares Dokument sozialer Befindlichkeiten und des Lebensgefühls vergangener Jahrzehnte greift auch der Fernsehkrimi dieses Thema auf. Im Film "Strandkorb 421" aus der Reihe Stahlnetz, 1964 vom NDR produziert, geht es um eine Gruppe von Dieben, die es auf alleinreisende Casino-Gewinner und allgemein auf Touristen abgesehen haben. Die Handlung spielt an Urlaubsorten und in Spielbanken auf Norderney und in Baden-Baden. Reiseziele, die sich Deutschlands Bürgerinnen und Bürger wieder leisten konnten. Sogar Maurer würden plötzlich im Sommer Urlaub machen, erfährt man in diesem Krimi, obwohl sie doch nur in dieser Jahreszeit arbeiten könnten.

Lehrreich erklärt der Leiter des Kommissariats in dieser Stahlnetz-Folge seinen Mitarbeitern, wie dreiste Diebe die Ferienzeit nutzen. Die Opfer der Einbrüche hätten allerdings auch zu wenig auf Sicherheit geachtet.
"Also zur Sache: Bedauerlicherweise bestellen immer noch sehr viele Leute, die verreisen, ihre Brötchen nicht ab, ihre Milch, ihre Zeitung; verschließen ihre Fenster mit Läden und haben ihr Telefon auf Auftragsdienst gestellt mit dem ausdrücklichen Hinweis, sie sind sechs Wochen verreist. Also für jeden gewitzten Einbrecher die zuverlässigtsen Tipps."
Was hat es auch für einen Sinn, teuer zu verreisen, wenn niemand davon Notiz nimmt?

Das Web 2.0 greift das menschliche Bedürfnis nach Prahlerei nun mit einem absolut formvollendeten Dienst auf. Bei blippy.com können alle Teilnehmer Kreditkarten, Online-Bezahlaccounts wie PayPal oder Accounts von Online-Shops anmelden und damit automatisch aller Welt mitteilen, was sie gerade Tolles gekauft haben. Laut Selbstdarstellung des Anbieters ist das eine bequeme Basis, um sich über die neuen Erungenschaften auszutauschen. Man kann Tipps teilen und guten Freunden zum neu gekauften, überteuerten Krempel kondolieren. Dies ist nicht nur ein weiteres Tool des Social Webs, alle Weltbürger zu Freunden zu vernetzen, es ist auch eine unschätzbare Datenquelle der Werbewirtschaft für marktforscherisches Profiling. Liebende Paare können gegenseitig ihre Kreditkarten dort anmelden, um einander zu zeigen, wie wenig sie zu verbergen haben. Vielkäufer können Taugenichtse ("Minderleister" sagt man heute) motivieren, reich zu werden, um auch viel zu kaufen, was wiederum die Volkswirtschaft stärkt. Der Besitz digitalen Geldes ist natürlich Voraussetzung. Aber wer noch Schecks mit dem Füller schreibt, twittert vermutlich ohnehin noch auf Büttenpapier.

Die Nutzer des neuen Dienstes stammen noch vor allem aus den USA. Sie fröhnen den neuen Errungenschaften digitaler Prahlerei. Verbraucherschützer raufen sich derweil die Haare.

Samstag, Januar 23, 2010