Medien befinden sich wie alles andere auch in ständiger Entwicklung. Momentan scheint diese ziemlich geschwind voran zu schreiten, was auch daran liegt, dass sich bereits eine Menge von Menschen in Positionen befindet, die nicht mehr bezahlbar sind, wenn nicht fortwährend neue Produkte und Dienstleistungen auf die Märkte gebracht werden, für die andere Menschen Geld ausgeben. Welche Entwicklungsrichtungen derzeit das Fernsehen einschlägt, das immer stärker mit der Technologie des Internets zusammenwächst, zeigten am 23. Februar 2010 Redner und Diskussionsteilnehmer auf dem zweiten newTV-Kongress im Hamburger Millerntorstadion auf St. Pauli. Eingeladen hatte die Hamburger Initiative für Medien, IT und Telekommunikation Hamburg@work. Mit fast 200 Vertreterinnen und Vertretern war das Publikum der Branche vertreten, deren Hochburg die Hansestadt ist.
Ähnlich wie 1984 mit der Einführung des privaten Rundfunks in Deutschland steht das Fernsehen momentan vor einem Paradigmenwechsel. So wurde es in den acht Vorträgen (rechnet man die Begrüßung durch den Hamburg@work-Vorsitzenden Uwe Jens Neumann dazu) und der Panel-Diskussion deutlich. Wo es den Programmgestaltern des Fernsehens über viele Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts gelungen ist, den Tag des Publikums zu strukturieren (nach den „Tagesthemen“ ins Bett!), werden es mehr und mehr die Zuschauer selbst sein, die Zeit und Ort des Fernsehens bestimmen. Die Fernbedienung, der die Medienwissenschaften spätestens seit den neunziger Jahren mit ausreichender Zapping-Auswahl eine Machtposition im Quotenkampf einräumen, wird dabei nach wie vor eine wichtige Rolle spielen.
So stellte Rahul Chakkara, Leiter Future Media TV Platforms bei der BBC, eine offene, d.h. abonnementsunabhängige und anbieterübergreifende Set-Top-Box vor, die nicht nur zeitversetztes Sehen, sondern vielseitige interaktive Features bietet. Chat, sei es über Clientsysteme, Facebook oder Twitter, wird direkt integriert. Telekommunikation, Internet und Fernsehen verschmelzen so in eins. Die Navigation erfolgt, wie im „Lean-Back“-Format Fernsehen gewohnt, über eine Fernbedienung. Suchmaschinennutzung schließt Chakkara nach Ergebnissen der Nutzungsforschung derzeit aus. Tastaturen wird in dieser Anordnung kaum jemand nutzen wollen. Doch das impliziert auch die entweder passive Teilhabe am Chat oder die Ergänzung des Systems durch das Mobiltelefon etc. Die Box, welche Fernsehantenne, Internet und Bildschirm verbindet, soll in der finalen Version zu den Olympischen Spielen 2012 für ca. 20 Pfund im Handel sein.
Es wird deutlich, dass das Setzen derartiger Standards nur dann möglich ist, wenn die Finanzierung der Angebote durch funktionierende Konzepte gesichert ist. Die BBC hat es leicht, Qualität anzubieten, ohne mit dem Hut durch die Wohnzimmer zu gehen und Pennies zu sammeln. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist durch die monatliche Pauschale in der Lage, hochwertige Inhalte unbeschränkt anzubieten. Dies sollte ein weiteres Argument in der deutschen Diskussion sein, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk – dem die BBC dereinst Modell stand – die eingezogenen Gebühren auch für Onlineprojekte ausgeben dürfe, wenn Deutschland sich in einer technologischen Vorreiterstellung behaupten will. Dass das ZDF, wie dessen Beauftragter für digitale Strategien Robert Amlung später präsentierte, per Facebook erfolgreich Ladenhüter vermarktet, die ihre Zielgruppe über das zweite Programm nicht mehr erreichen, ist davon erst der Anfang bzw. das Übungsfeld.
Auf welche Art von Content man sich gefasst machen kann, wenn private Anbieter werbe- oder abonnementsfinanziert im newTV aktiv werden, skizzierte Torsten Hoffmann, Senior Partner bei Global Media Consult. Billig wird es werden in jeder Hinsicht. Geld lässt sich nach Hoffmanns Ausführung in diesem Medium nur kleinteilig verdienen: mit minimalen Produktionskosten, „sponsored content“ und Wiederholungen. Baby First TV etwa füllt tageweise Programm mit wenigen Stunden Material: Wie schon von den Tele Tubbies bekannt, haben mehrmals durchgeleierte Sendungen einen pädagogischen Effekt auf die Audienz im Vorschulalter. Die Übertragung wird nicht mehr über umständliche und teure Satelliten laufen, sondern über Web-Server – ausgelagert und automatisiert. Über die Qualität dieser Angebote muss sich schließlich jeder selbst eine Meinung bilden. „Lily the Black Bear“ hat immerhin bereits mehr Facebook-Follower als Lindsay Lohan und letztere befindet sich nicht einmal im Winterschlaf. Lily pennt allerdings unfreiwillig und für Gotteslohn vor der Webcam; der Gewinn ist Reingewinn.
Zum Abschluss waren die Gäste eingeladen, sich bei gedimmtem Licht die mediale Zukunft vorzustellen. Etwa so: Kinder hüpfen wie eh und je auf dem Gehweg umher und spielen Himmel und Hölle. Doch auf dem Pflaster sind keine Kreidestriche zu sehen; von den besonderen Features, die das Spiel der Kinder mit virtuellen Mitspielern und Special Effects bereichern, ganz zu schweigen. Dass diese individuelle Vision keine Spinnerei sein muss, belegte Norbert Hillinger von der Agentur TrendONE in seinem Vortrag über Neuheiten, die bereits auf dem Markt sind oder kurz davor stehen. Beispiele wie das „EyePet“ und der Service „Layar“ lassen sich leicht über Suchmaschinen finden. Die benötigte Kontaktlinse für das „Real Life“-Erlebnis – oder wahlweise das Implantat im Auge – werden derzeit entwickelt.
Es ist also jetzt an der Zeit, ernsthaft über Folgendes nachzudenken: HDTV, 3D-TV, Interaktivität und immer wieder die Monetarisierung durch Werbekonzepte, Abomodelle oder Pay-per-View, ...
Siehe auch reticon.de: Morgen vor der Glotze - newTV-Kongress in Hamburg
> #newtv10
> newtv-kongress.de
> hamburg-media.net
> bbc.co.uk/iplayer
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