Donnerstag, Oktober 30, 2008

Guybrush im Tagungshotel

Straff organisierte Tagungen sind eine beliebte Möglichkeit der Zusammenkunft von Fachleuten. Sie sind auch ein Quell frischer Ideen, zweifellos. Doch sie sind auch hermetisch - von gewitzten Schnorrern abgesehen, die sich mit wissenden Nicken an der Vollklimatisierung wärmen, in Workshops weder mit Titeln noch mit abstrusen Vorschlägen geizen und in Pausen nicht nur ihre Eingeweide mit Kaffee, sondern auch ihre Tupperdosen mit Gebäck zu füllen wissen. Tagungen sind hermetisch, weil das Hotel alles bietet und eine gute Tagung auch alles davon inkludiert. Die Außenwelt ist so weit weg wie bei Kaffeefahrten mit Rheumadeckenverkauf, damit die Veranstaltung noch im tragbaren Rahmen bleibt und genau da drängt sich ein Vergleich auf.

Die Räume, in denen Tagungen stattfinden, sind wie Monkey Island, die Straße, in der Zak McCracken wohnt oder der Kiez von Larry Laffer. Sie sind endlich. Der Außenraum existiert nicht, zumindest bis zur Abreise. Geht der unbedarfte Tagungsteilnehmer in der Raucherpause etwa zu weit nach links läuft er gegen den Bildschirmrand wie die Helden in Adventuregames. Je nach Ausrichter der Tagung kann es auch sein, dass er sich beim Versuch das Universum seiner Tagung über definierte Grenzen hinaus auszuloten, sogleich in einem nicht gebuchten Workshop, mitten in der Vorstellungsrunde wiederfindet.

Natürlich haben die klimatechnisch wiederverwertete Luft, die Begrenzung der persönlichen Reichweite und das straffe Veranstaltungsprogramm auch Auswirkungen auf das Verhalten der Teilnehmer. Sie beginnen exakt so zu handeln wie die Helden Sam & Max und Consorten. Sie nehmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Jede Tasse Kaffee füllt den roten Lebensbalken oben links im Bild auf. Visitenkarten bringen in alter Jump-and-Run-Manier bis zu 100 Bonuspunkte. Keine Mahlzeit wird auch nur ansatzweise ausgelassen, wer weiß, wann es die nächste gibt, wenn die Vorträge das Ende über ein toleriertes Gottschalk-Niveau hinausdehnen. Erfahrene Besucher haben gelernt sich die Taschen zu füllen wie Laverne am Tag des Tentakels: Pausensnacks und Mini-Schokoriegel. In einer gut imprägnierten Anzugtasche hält sich selbst ein Saté-Spießchen bis zu sechs Stunden! Gutes Training kann noch weit mehr in Taschen und Rollköfferchen (Handgepäck) mit Teleskop-Zugstangen unterbringen. Tagungshotel-Betthupferl. Eingepackte Seife. Kleine Knopf-Annäh-Necessaires. Man weiß nie, wofür man es noch braucht. Nutella-ein-Brötchen-Portionen vom Frühstücksbüffet. Weitere Saté-Spießchen für die nächste Familienfeier. Bademäntel. Telefone. Nein, nur Spaß, das würde niemand tun.

Die Mission ist klar. Netzwerke schaffen, Gefolgsleute gewinnen wie Guybrush den Gefangenen oder den Affen. Dem Chef Erfolg auf ganzer Linie verkaufen und Spesen einfordern. Ideen (Meme!) unters Volk mischen. Den Widersacher totquatschen. Was hier vorliegt ist eine klare dramaturgsiche Überlappung von Tagungsrealität und Adventure-Game-Fiktion. Die Frage, was zuerst da war, bleibt offen.