Sonntag, April 29, 2007

Tatort: "Strandgut" (NDR 1972) und Stahlnetz: "Strandkorb" (NDR 1963)

Beide Krimis spielen auf einer Nordseeinsel, Stahlnetz auf Norderney und Tatort auf Sylt. Und auch sonst sind einige Parallelen auffällig: allein reisende Männer werden Opfer professioneller Verbrecher - in beiden Fällen sind Frauen Lockmittel und Männer die Drahtzieher. Stahlnetz behandelt das Thema Raub und Raubmord, im Tatort ist es Erpressung und Mord (mit einer ganz trickreichen Wendung). Zunächst ist jeweils unklar, ob es sich um Mord oder Selbstmord handelt. Und in beiden Folgen kommt die Kriminalpolizei ins Urlaubsparadies und ermittelt undercover.

Die Orte wirken ganz deutlich auf die Geschichte ein. In den 60er Jahren wird schon eine schöne Urlaubswelt gezeigt, viele Deutsche können sich wieder etwas leisten. Das Lebensgefühl wird als dolce vita am Strand mit schicken Bikinis und dem Spiel in Casinos gezeigt. Die Warnung davor, mit dem Urlaubswohlstand allzu sehr zu prahlen, ist explizit: viele Urlauber bestellen Milch und Zeitung nicht ab, andere beauftragen sogar einen telefonischen Auftragsdienst jedem Anrufer mitzuteilen, dass man 6 Wochen an der Küste verweilt. In den 70er Jahren ist es ähnlich, aber noch Freizügiger. Der Wohlstand hat sich gesetzt: die Folge ist voll von Nackten und tollen Autos. Die Urlaubsszenerie wird jeweils unterstützt durch aktuelle Musik jener Zeit, Stahlnetz zusätzlich mit Norderneyer Folklore, Tatort mit einem Urlaubssoundtrack aus der Feder von Nils Sustrate (erinnert fast an Loveboat).

"Strandgut" wirkt aufgrund der vielen Ähnlichkeiten wie ein Nachfolger von "Strandkorb 421", eine Inspiration wahrscheinlich. Aus heutiger Sicht sind beide hervorragende Zeitdokumente aus denen man einiges über das Lebensgefühl jener Zeit ablesen kann. In der Zusammenschau um so mehr.

>> Stahlnetz DVD-Kollektion

Freitag, April 27, 2007

Der Kommissar: "Jähes Ende einer interessanten Beziehung" (ZDF 1974) - Ausnahmefolge II

"Der Kommissar" hat grundsätzlich eine eher konservative Haltung: nicht selten werden Menschen dort deshalb zu Opfern, weil sie sich in schlechten Kreisen bewegen, statt "normal" zu arbeiten. So fassen die Hallenser mit Bezug auf Egon Netenjakob zusammen: "Den alten Bürgerlichen wurde einerseits ins Gewissen geredet, andererseits wurden sie in ihren konservativen Überzeugungen bestätigt". Sie zitieren Wolfgang Gast, der es noch einseitiger sieht: nach ihm enthielt die Serie "anti-aufklärerisches und anti-demokratisches Wirkungspotential" (Brück, S. 153). Auch Hickethier bestätigt: "Das biedere Normale galt es zu verteidigen, es stand gegen das Außergewöhnliche, gegen die Abweichung" (Hickethier, S. 194).

Doch genau das ist fraglich. Die hier angesprochene Folge belegt sehr deutlich, wie den Konservativen ins Gewissen geredet wird. Das Opfer Strassner wird deshalb ermordet, weil er einer ungebildeten Gesellschaftsschicht angehört und ein lockeres Leben führt - nur kann man ihm dies gar nicht recht zum Vorwurf machen. Zwar erpresst er die Frau, die er eigentlich liebt, doch dies ist nicht das Motiv für die Tat, sondern nur eine Finte: sterben musste er erst danach, als seine Liebe erwidert wurde, durch die Hand eines erzkonervativen Bürgers, der sich als hoffnungslos verbohrt zeigt. Dieser ist es, der seine Tochter in die Heimlichkeit zwingt und damit erst der Erpressung den Boden bereitet. Hier ist es nicht die Beatmusik, die ins Verderben führt, sondern das um Ansehen heischende "ehrbare Haus". Dieses Motiv wird in der Krimi-Serie "Derrick" noch stärker. Hinter der teuren Fassade Münchener Villen wohnt das Verbrechen. Und auch im Tatort ist die Sorge um das gute Ansehen reicher Familien sehr häufig Quell des Verbrechens (nur ein Beispiel: "Der dunkle Fleck" WDR 2002).

>> Vgl. Brück, Ingrid, Andrea Guder, Reinhold Viehoff, Karin Wehn: Der deutsche Fernsehkrimi. Stuttgart, Weimar 2003, S. 148-157.
>> Vgl. Hickethier, Knut 1985: „Die umkämpfte Normalität. Kriminalkommissare in deutschen Fernsehserien und ihre Darsteller.“ In: Ermert, Karl/Gast, Wolfgang (Hrsg.) 1985: Der neue deutsche Kriminalroman. Beiträge zu Darstellung, Interpretation und Kritik eines populären Genres . Rehburg-Loccum: Evangelische Akademie Loccum (= Loccumer Kolloquien, 5), S. 189-206. >> Hickethier analysiert die Darstellung der Normalität im Kommisar.

Sonntag, April 15, 2007

Der Kommissar: "Jähes Ende einer interessanten Beziehung" (ZDF 1974) - Ausnahmefolge I

Diese Folge aus der Serie "Der Kommissar" ist in mehrerlei Hinsicht eine Ausnahme. Zunächst ist davon der vielzitierte Alkoholkonsum betroffen.

Auf 'DER Fanseite zur KULT-Kriminalserie' ist ein sehr interessanter und akribischer Artikel konserviert worden, der nicht nur Aufschluss über wahres Fantum, sondern auch über die Bedeutung des Konsums in den 70er-Jahren gibt. In der besagten Folge wurden demnach - verhältnismäßig geringe - neun Portionen Alkohol getrunken. Dass davon alle neune von Nebenfiguren und nicht von den Ermittlern konsumiert werden, ist nicht besonders. Das kommt vor. Doch vor diesem Hintergrund fällt wirklich ins Auge, wie Keller ein angebotenes Glas offen ablehnt. Es ist also doch nicht so schlimm, wie alle sagen...

>> Astrid Paprotta über den Kommissar