Sonntag, Januar 28, 2007

Von der guten Gesundheit zur neuen Unsicherheit

Lange Zeit hatte es in Deutschland Tradition, einem armen Menschen, den ein Nieser schüttelte, Gesundheit zu wünschen. Das ist kein deutscher Alleingang. Spanier sagen "Jesús", Briten "Bless you" und Amerikaner sogar "Gesundheit". Nun hat eine Zelle naseweißer Intellektueller die These aufgestellt, der Gesundheit-Wünscher denke dabei nur an seine eigene Gesundheit, ohnehin gehöre es sich nicht, in die Privatsphäre anderer Menschen vorzudringen, und schon herrscht große Unsicherheit in deutschen Landen, besonders in der Saison grippaler Moden. War derartigen Bestrebungen noch vor einem Jahr wenig Erfolg beschieden, wirkt es sich heute schon in weiten Kreisen der Bevölkerung aus. Entschuldigen soll er sich, der Niesende, schändlich genug, dass er seinen körperlichen Bedürfnissen in aller Öffentlich nachzukommen wagt. Klingt es doch alles wie eine Initiative der Bild-"Zeitung", um das Winterloch zu füllen, wird es doch verkauft, als sei es Knigges neuester posthumer Erguss. Schon hört man ein ernstes "Entschuldige dich mal", wo gestern noch mitfühlene "Gesundheit" waltete. Ist das Ganze nun ein deutscher Alleingang oder wird sich das spanische "Jesús" auch irgendwann zu "qué verguenza" oder Schlimmerem wandeln? Nichts gegen regelmäßiges Händewaschen bei Erkältung, aber das alles ist unheimlich künstlich, aufoktroiert und suspekt. Dann doch lieber ein "Prost", "Gott schenke dir Schlappohren" oder "verreck, du Aas" - das kommt wenigstens von Herzen!

>> In der Schweiz ist die Welt noch in Ordnung.

Dienstag, Januar 16, 2007

2030 - Aufstand der Alten (ZDF, 16.01.07)

Dieses fiktive Doku-Drama ist ein eigewilliges Experiment, das an Wolfgang Menges Zukunftsszenarien "Das Millionenspiel" (1970) oder "Smog" (1973) erinnert: fiktional-dokumentarische Formate, die einen Missstand in der Gesellschaft herausgreifen. Doch Menge ist fern. Hier wird nichts deutlich angeprangert, Kritik entsteht allenfalls in den Köpfen der Zuschauer. Alles in allem wirkt der "Aufstand der Alten" doch am ehesten wie eine Dauerwebesendung für private Rentenvorsorge und Krankenzusatzversicherungen. Diese werden zuweilen ganz plakativ empfohlen, wie etwa im Porträt der Drei-Generationen-Familie.

Seltsam fiktiv kommt die Sendung daher, obwohl der Stil stark an den des authentischen Doku-Dramas angelehnt ist: die Dialoge wirken doch zu sehr durchgeplant. "Die Entwicklung eines neuen Fernsehformats" steckt trotz aller möglicher Vorbilder (warum denn nicht bei Menge lernen?) und machbarer Umsetzung in den Kinderschuhen. Die "investigative Journalistin" Lena Bach wirkt arg aufgesetzt. Warum diese Geschichte nun überhaupt als Dreiteiler angeboten wird, bleibt schleierhaft.

Edit 17.01.07:
Ob gewollt oder nicht, der Film ist sehr optimistisch und strahlt eine positive Botschaft aus: Protagonist Sven Dahrow ist bereits mit unter 70 Jahren in Rente gegangen und er hatte bis dahin eine feste Arbeit! Warten wir's also ab...

Montag, Januar 08, 2007

Tatort: "Die Blume des Bösen" (WDR, 01.01.07) - Achtung, enthält Spoiler

Der Eröffnungstatort des Jahres 2007 ist anerkanntermaßen voller Spannung. Tatsächlich wird in diesem Krimi kaum ein Mittel ausgelassen, Spannung zu erhöhen. Hauptsächlich wird dabei auf bewährte Mittel zurückgegriffen, was aber dem Erlebnis ebenso wenig einen Abbruch tut wie die schon häufig erzählte Geschichte der Rache an einem Polizisten (wie vor nicht allzu langer Zeit bei CSI).

Der "Chef der Hamburger Ermittler" (Jürgen Schornagel) hat hier Gelegenheit einmal in die Rolle des kranken Bösen zu schlüpfen und in einer Anlehnung an "Stirb Langsam Teil 3" Max Ballauf durch Köln zu hetzen. Besonders in Kameraeinstellungen und Beleuchtung wird das Drehbuch fantastisch umgesetzt. In einigen Szenen wirkt Klaus J. Behrdendt tatsächlich um Jahre gealtert.

Was auf dieser Spannungsjagd alles auf der Strecke bleiben musste, wurde schon recht ausführlich bei Stralau und an anderen Stellen besprochen. Deshalb hier nur zwei Dinge herausgegriffen:

1.) Intertextualität

Der Tatort arbeitet mit einer offensichtlichen Intertextualität: "Die Blumen des Bösen" (Les fleurs du mal) ist eine Gedichtsammlung von Baudelaire. Doch was ist die Konsequenz? Ein oberflächlicher Blick (zu mehr reicht leider meine Zeit nicht) zeigt, dass hier nur wenig übernommen wurde, am auffälligsten der Titel. Außerdem wurde der Text für ein Rätsel herangezogen. Dieses Rätsel wurde nur erwähnt, nicht aber zum Mitraten bereit gestellt. Zunächst mochte man annehmen, dass dies aus Zeitgründen geschah, um den Rahmen der 90 Minuten nicht zu sprengen. Ein gut platziertes Mitratespiel macht schließlich einen dramaturgischen Reiz aus. Doch bei der näheren Prüfeung wird klar, dass hier vor allem gescheut wurde, ein feinsinniges Rätsel zu entwerfen. Bei Baudelaire kommt jedenfalls keine Beatrice vor und auch die Lilie spielt nur eine Nebenrolle. Schuld und Wahrheit dagegen, werden häufiger erwähnt. Wie es scheint hätte dieses Rätsel entweder nur dünn bleiben können oder einen Riesenaufwand der Erklärung bedeutet.

Eine ausführliche Erörterung dieses Bezugs könnte sich lohnen. Ein Blick auf den Chabrol-Film "Die Blume des Bösen" von 2003 sicherlich auch.

2.) Die dramaturgische Zwickmühle am Ende

Das Finale ist vertrackt. Täter Kuschmann hat Schenk überwältigt und Ballauf weiß nicht, wo und wie bedroht die kleine Anna ist. Man kann jetzt sagen (Erschieß den Täter und gut is!), doch ist es so einfach? Kuschmann sagt selbst, er hätte sich abgesichtert: "Meinen Sie ich gehe in die Höhle des Löwen ohne Rückversicherung?" Hätte man dies weiter ausgeführt (ein zweiter Täter wäre unwahrscheinlich, also z.B. "Anna braucht in 10 Minuten ein Gegenmittel, das nur ich kenne"), wäre die Situation wesentlich komplexer geworden. Ballauf hätte sicht fragen müssen, wen er opfern soll? Schenk oder Anna? Das alles bleibt implizit, zum Selbst-Zusammendenken. Ballauf schießt jedenfalls erst, als er Anna nach der Katze "Tinka" flüstern hört.

Edit 25.01.07:
Interessant, welche Ungereimtheiten Julia beim genaueren Hinsehen entdeckt hat.