Sonntag, August 20, 2006

Du bist Sick!

In der sog. Blogosphäre, dem Teil des Netzes, wo jeder einmal Journalist sein darf (z.B. hier), gibt es unter anderem eine ganze Schar von Seiten die sich mit der Pflege der deutschen Sprache befassen. Die bekannteste ist wahrscheinlich der Apostrophen-Alarm, doch an Mitstreitern mangelt es nicht. Jeder hat sein Spezialgebiet, wie etwa das Deppenapostroph, das jetzt durch die neueste Dudenauflage eine teilweise Legitimation erhielt. Skuril muten sie an, die Formen von Walkman's, Björn's Blog oder vielleicht sogar Blo'g? Diese Welt ist eine Welt von gut und böse, wo man noch klar zwischen falsch und richtig unterscheiden kann - besser als in jedem Kelter-Roman. Alles Falsche wird artig abgestraft, der Schreiber ausgepfiffen. Bastian Sick, Deutschlehrer der Nation, wird gefeiert (selten kritistert) und jeder Sprachfrevel, jede Entlehnung aus fremdsprachigen Strukturen sogleich gedisst. Die deutsche Sprache verfügt nicht wirklich über eine Tradition von "nicht wirklich" und "Sinn" ist auch nichts, was von etwas gemacht wird: das ist Englisch.

Doch was kann man als Germanist darüber aussagen?

Falsch und richtig gibt es in Bezug auf Sprache eigentlich nicht. Dies sicherlich zum Leidwesen aller Sprachnostalgiker. Es gibt einen mehrheitlichen Sprachgebrauch und es gibt Wendungen die nicht funktionieren, weil sie niemand versteht. Sprache ist pragmatisch. Sie dient der Kommunikation und wenn diese nicht zustande kommt, hat die Sprache nicht funktioniert. Das ist es noch am ehesten, was man als falsch bezeichnen könnte.
Sprache ist dynamisch und in einem Prozess ständiger Entwicklung begriffen. Wenn jetzt jemand die Seiten der Sick-Fans, der Gegner des "Fredfeuersteindeutsch" und Sprachpuristen einfach "geil" findet, mag das für die Dorfältesten ein Skandal sein, für den Fachmann ist es halt ein Bedeutungswandel. Dynamik und Sprachwandel beinhalten auch das Phänomen, welches den Sprachsaubermännern am meisten Angst macht: das die Minderheit plötzlich zur Mehrheit wird, die gehasste Formulierung zum Standard und damit falsch zu richtig und richtig zu falsch.

Was ist also richtiges Deutsch?

Die Antwort ist ganz individuell, denn jeder wird sich aus diesem dynamischen Prozess seinen eigenen Moment des Standards ausgewählt haben, möglicherweise den Standard seiner Grundschulzeit. Andere wettern gegen regelhaftes (Duden-)Deutsch und pochen gerade auf jene Dynamik: man sollte doch Standards aus anderen Regionen als falsch erklären. Damit wird ein regionaler Standard verabsolutiert. Wer jetzt also sagt, "Deppenapostroph nein Danke" und englische Wendungen und Strukturen zu übernehmen mache keinen Sinn, müsste also zunächst jeglichen Sprachwandel ausschließen und zusätzlich jede Entlehnung aus jeder anderen Sprache: z.B. nicht nur Englisch, sondern auch Französisch, Latein, Griechisch etc. Damit wäre ein gewaltiger Rückschritt vom heutigen Deutsch zu archaischen Formen indogermanischer Natur getan (keine Angst, das ist gar nicht möglich). Niemand würde diese Damen und Herren mehr verstehen und diese neue Sprache hätte alles Zeug zum falschen Deutsch im eigentlichen Sinne. Ein Teufelskreis...

Dass es schon eine unlösbare Aufgabe geworden ist, den schmalen Grat zwischen richtig und falsch festzulegen, zeigt das Gerudere der Rechtschreibreform und der Reform der Reform. Diese Neufassung geht einigen nicht weit genug und anderen schon viel zu weit. Das Ergebnis sind jedenfalls neue Regeln, die genau so viel Verwirrung stiften wie die alten. Es bleibt nur ein stetes Nachschlagen.

Nachtrag 22.08.06: Eine sinnvolle Verwendung für das sog. Deppenapostroph habe ich schon gefunden: Thoma's Kommentare (denn wer zum Henker ist dieser Thomas K.?). Ex-RTL-Chef Helmut Thoma sagte zum Beispiel: "Über Qualität lässt sich trefflich streiten. Aber eins steht fest: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler." Medienwissenschaftler Reinhold Viehoff kommentiert dazu: "Vom Schmecken kann ja schlechterdings aus der Sicht des Fisches, der an der Angel zappelt, nicht mehr gesprochen werden, sondern nur noch aus der des Anglers, der noch etwas Appetitliches vor sich hat" (in Vogt 2004, S. 106).

Siehe auch:
>> Markners Kommentar in der BZ
>> Gaugers Konkurrenzbuch zu Sick

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