Samstag, Juli 29, 2006

Irrlicht: "Mit dem Teufel im Bunde: Die üblen Machenschaften einer gefährlichen Frau"

Ein Roman von Patricia Vandenberg erschienen im Martin Kelter Verlag. Oft werden diese Hefte mit erstaunlich hoher Qualität dem Unterhaltungsanspruch gerecht, so dass Label wie Trivial-Kitsch-Groschenheft etc. fehl am Platze sind. Doch diese Erzählung scheint sich gar um den Lektoratstisch herumgemogelt zu haben.

Der Ansatz ist spannend: Jocelyn hat Visionen, die sich häufig auch bewahrheiten. Wirklich gelungen ist die Einführung dieses Motivs durch Jocelyns Charakterisierung auf den Seiten 6 bis 7. In ihrem Umfeld passieren gruselige und bedrohliche Dinge, Freundinnen verschwinden, Attentate werden verübt. Doch leider wird dieses Motiv der seherischen Fähigkeiten kaum dramaturgisch ausgenutzt. Hier hätte sich die Möglichkeit eines Spiels mit der Informationsvergabe eröffnet. Durch Visionen einer Figur kann man wunderbar anzweifelbare und dennoch Bedrohung und Spannung erzeugende Informationen einstreuen, welche dann die Handlung lenken.

Wirklich schade ist es um die titelgebende Smaragdkönigin, die angeblich mit dem Teufel im Bunde ist. Diese wird zwar mehrfach in Mutmaßungen erwähnt, schafft es aber kein einziges Mal, wirklich Angst zu machen. Eine knackige Vision hätte hier nicht geschadet. Als sie nach
59 Seiten endlich in Erscheinung tritt, erlebt man eine unsichere Person, der man kaum die böse Kriminelle abkauft, geschweige denn die Teufelin. Zu dieser mächtig dünnen Geschichte passt das Ende: natürlich ist es ein Deus-ex-Machina, welcher die Smaragdkönigin dahinrafft: sie verunglückt in einer ihrer Minen und alles ist wieder gut. Das ist nicht Irrlicht und schon gar nicht Grusel, wo man schon echten Teufeln (z.B."Einladung zum Hexenclub") oder echten Kriminellen und Mördern (z.B. "Der verborgene Schatz") begegnet.

Von Anfang an werden Figuren eingeführt, über die nicht viel ausgesagt wird. Noch dazu überschneiden sich die Namen: Professor Goswin ist nicht gleich Professor Goswin, da dieser Name für Junior und Senior gilt (dies fällt besonders auf S. 21 auf). Der Senior heißt Rick, genau so wie Jocelyns Bruder Henrik einmal genannt wird (S. 44). Die Beteiligten Damen Maxine und Mariella bergen auch einiges Verwechslungspotenzial. Dadurch entsteht Verwirrung, die durch eine klarere Abgrenzung der Charakterisierungen hätte vermieden werden können. Dies hätte kein Problem dargestellt, wäre die Verwirrung Teil der Dramaturgie gewesen, etwa durch Vermittlung der Perspektive der Protagonistin, die selbst verwirrt und verunsichert ist durch die Geschehnisse. Doch dies ist keineswegs der Fall.

Der Rest sind Kleinigkeiten: Ansätze mit größerem Potenzial, das nicht ausgeschöpft wurde, etwa Jonas' Traum (S. 17) oder die Figur des Lorenzo Bondi. Auch dass das Telefon abgehört wird, bleibt bloße Vermutng. Die Romanze im Nebenstrang (oder ist es doch der Hauptstrang?), beeindruckt durch das hohe Tempo, zwischen leichter Abneigung (Jocelyn ist zunächst etwas kratzbürstig) und Heiratsantrag vergehen nur wenige Seiten und noch weniger Handlungstage.

Der Umgang mit Details ist wenig sorgsam. Ein Beispiel: auf S. 62 erfährt man, dass Gregory den (vergifteten) Tee der Bösen vorsichtshalber abgelehnt hat, auf S. 61 wird aber schon der schale Nachgeschmack dieses (abgelehnten) Tees erwähnt. All diese Unachtsamkeiten schmälern die Unterhaltung.

Freitag, Juli 21, 2006

Der Kommissar: "Ein Playboy segnet das Zeitliche" (ZDF 1975)

Playboy Mandy (gesprochen mit deutschem 'a', also nicht zu verwechseln mit einem beliebten ostdeutschen weiblichen Vornamen) wird bedroht. Jemand möchte ihn erschießen. Und jemand erschießt ihn schließlich auch. Allerdings nicht der Drohanrufer Albert, dessen Schwester sich das Leben nahm, nachdem sie vom privat unsischeren und schüchternen Mandy verlassen wurde, sondern seine engsten Vertrauten: Willy und Erich. Willy ist ein alternder Student also durchaus ein Phänomen jender Zeit (aus heutiger Perspetive bald vollends Geschichte...), ein Frauenschwarm und anders als Mandy kein Bisschen schüchtern. Deshalb arbeitet er für ihn als eine Art privater Koberer. Er spricht die Mädchen an, mit denen Mandy ins (runde Playboy-) Bett möchte. Obwohl Willy damit offensichtlich nicht schlecht lebt, ist Mandys Geld für ihn Mordmotiv. Letztlich bestätigt sich also, was Mandys Onkel schon längst vermutet: der Mörder stammt aus den kreisen, in denen sein Neffe verkehrte. Gleichzeitig bestätigt dies die Feststellung der Krimiforscher: "den Opfern wurde häufig durch ihr eigenes Fehlverhalten eine Mitschuld an ihrem tragischen Ende aufgebürdet" (Brück et al. 2003: 155).

Interessant ist der Typ des Playboys: ein Lebensstil ohne feste Bindungen (insbes. ohne Familie), erlebnis- und konsumorientiert, Arbeitsscheu (Mandy ist Milionenerbe und kann es sich leisten). Der Playboy lebt in Nachtclubs und in häufig wechselnden Geschlechtsbeziehungen. Dieser Lebensstil verbreitete sich offensichtlich in den späten Sechzigern und war der älteren Generation ein Dorn im Auge, weil sie sich ein dermaßen sorgloses Leben nicht vorstellen konnte (so wie sie kaum nachvollziehen kann, dass junge Leute so wenig Probleme haben, dass sie sich selbst welche machen). Dazu passt die konservative Aussgae, dass Mandy seinen zukünftigen Mörder selbst eingeladen hat.

Was macht diesen Typ also aus? Sein Auftreten ist Schauspiel und Maskerade, denn in Wirklichkeit ist er scheu (dass die tragische Elisabeth, Alberts Schwester, dies herausfand, machte Mandy große Angst, sodass er sich trennte). Er spielt den allseits Beliebten, was aber nur auf seinem Geld beruht, das er so freigiebig verteilt. Dieses Geld kauft gute Laune und diese zieht sogenannte Freunde an. Sein Äußeres ist Klischee. Der weiße Seidenanzug, das offene schwarze Hemd, der auffällige Sportwagen zeigen schon von weitem an, was es hier gibt, die wörtlich genommene Einladung zum Fröhlichsein auf Zeit.

Weitere Überlegungen zum Typ des Playboys und seiner Inszenierung in Film und Fernsehen der 50er und 60er-Jahre wären lohnenswert...

>> Vgl. Brück, Ingrid, Andrea Guder, Reinhold Viehoff, Karin Wehn: Der deutsche Fernsehkrimi. Stuttgart, Weimar 2003, S. 148-157.

Sonntag, Juli 02, 2006

Die digitale Identität - Ansätze aus Linguistik und Literaturwissenschaft

Die digitale Identität wird mit der Verbreitung von Social Software und dem sogenannten Web 2.0 zu einem wichtigen Thema - nicht nur für Unternehmen, die auf eine umfassende Wahrnehmung und gute Reputation (online wie offline) angewiesen sind, auch für Privatleute, die ihre digitale Identität möglicherweise völlig ungewollt erhalten (schon durch einen unterschriebenen Leserbrief an eine Tageszeitung oder die Mitgliedschaft in Vereinen wird man oft "googlebar").

Elizabeth Albrycht zeigt in ihrem Aufsatz "Thinking about Digital Identity"sehr deutlich auf, wie sehr diese Identität als ein virtuelles Konstrukt aus Selbstdarstellung und Fremddarstellung entsteht. Nicht nur die eigene Darstellung formt Identität und Reputation, sonder auch - und das in viel größerem Maße - das durch andere publizierte Fremdbild. Albrycht bezeichnet die moderne Person deshalb als Cyborg: eine reale (das gilt auch für die juristische) Person mit einer künstlichen, digitalen Komponente der Identität. Die Identität ist die Schnittmenge aus einem Netzwerk von anderen digitalen Identitäten.

Im Zusammenhang mit dem Netzwerk ist Albrychts Hypothese der Identität (wenn man diese Überlegung denn schon als Hypothese bezeichnen möchte): "doesn't identity in some ways reflect the sum of our relationships?". Damit wird die Kerneigenschaft der Social Software angesprochen: man schreibt eigene Beiträge, die mit anderen verlinkt sind, man kommentiert fremde Beiträge und bekommt Kommentare eigener Beiträge. Alle diese auf andere bezogenen Äußerungen formen die Identität. Dieser Ansatz entspricht überraschenderweise der Definition des Charakters (d.h. der Identität) der dramatischen Figur bei Manfred Pfister: "als die Summe der Korrespondenz- und Kontrastrelationen zu den anderen Figuren des Textes" (p. 225). Damit ist die Identität allerdings auch nicht nur qualitativ erfassbar, sondern auch quantitativ. Das ist genau die Besonderheit der Social Software: man definiert sich nicht allein über die Qualität der eigenen Aussage, sondern darüber, was man zu anderen Beiträgen sagt bzw. was andere zu den eigenen Beiträgen sagen. Man definiert sich über das Netzwerk.

Die Analyse der Identität - speziell der Unternehmensidentität - kann nach den bewährten Methoden aus der Linguistik und Literaturwissenschaft vorgenommen werden. Die linguistischen Ansätze stellen etwa die kompetenztheoretische Analyse nach Bungarten (in Anlehnung an Chomsky) zur Verfügung. Die Performanz besteht in jeder eigenen Äußerung, wie sie empirisch fassbar ist. Die Kompetenz ist jeweil das Latente, der Performanz zugrunde Liegende, was aus diesen Äußerungen erschlossen werden kann. Besonders interessant ist die von Bungarten hervorgehobene Performanzkompetenz (p. 31), denn diese bezeichnet die Kompetenz, Ziele strategisch umzusetzen. Auch die Performanzkompetenz ist aus der Performanz ableitbar und das wie gesagt quantitativ und qualitativ.

Die qualitative Analyse kann durch die bewährten Methoden der Literaturwisseschaft auf hermeneutischem Wege erfolgen. Letzlich ist ein Selbst- und Fremdbild (die gemeinsam die Identität qualitativ beschreiben) nicht anders zu analysieren als ein lyrischer Text: aufgeteilt in Form und Inhalt. Form: Design, Anordnung, Stil sind ausdrucksseitig von großer Relevanz und lassen wichtige Rückschlüsse auf die Kompetenz zu. Der Inhalt ist erschließbar, z.B. - objektiv - aus einer Analyse der semischen Isotopie. Gleiches gilt nicht nur für die Äußerungen sondern auch für die Beziehungen im Netzwerk an sich, womit sich der Kreis zu Pfisters dramatischer Figur schließt: die eigene Identität definiert sich aus Korrespondenz- und Kontrastrelationen. Das bedeutet, dass man Beziehungen zu anderen Unternehmen und zu Opinion Leadern (z.B. zu A-List-Bloggern) pflegen sollte und das bedeutet auch, dass man Kritik wahrnehmen und darauf reagieren muss. Darauf müssen sich Unternehmen vorbereiten.

Ein Unternehmen ohne hinreichende Performanzkompetenz wird ein besonders schwaches Netzwerk aufweisen und jede Fremdäußerung ignorieren; wahrscheinlich verfügt es nur über eine statische Internetpräsenz, die womöglich seit Jahren nicht überarbeitet wurde. Die Herausforderung an Unternehmen besteht heutzutage darin, die Identität aktiv voranzubringen und sich seine Reputation im Dialog zu erarbeiten. Dialog meint hier gerade nicht, dass man Newsletter herumschickt, welche i.d.R. automatisch gelöscht werden, sondern dass man über die Entwicklung im Netzwerk auf dem Laufenden bleibt (etwa durch Monitoring) und aktiv kommentiert. Das ist sicherlich ein Aufwand, den noch viele scheuen, weil sie denken, diese neue Vernetzung durch Social Software sei eine weitere Luftblase. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich dieses Networking auszahlt bzw. dass eine Unternehmensführung ohne aktive digitale Identität bald gar nicht mehr möglich ist.

Litaratur:
>> Manfred Pfister: Das Drama. München 1988.
>> Theo Bungarten: "Die Unternehmenskultur aus semiotischer und kompetenztheoretischer Sicht. Zur materiellen und 'geistigen' Repräsentationsebene der Unternehmenskultur." In: Ders. (Hrsg.): Unternehmenskultur als Herausforderung für Gesellschaft und Unternehmen. Tostedt 1994, 9-50.

Siehe außerdem:
>> Arbeitsbereich Unternehmenskommunikation Uni Hamburg

Samstag, Juli 01, 2006

Tatort: „Frauenmorde“ (HR 2003) - Teil: II

Die Frauen, die im SM-Kreis verkehren, Kati Richter, Ingeborg Karp und sogar die Frau des Ermittlers Steffi Dellwo, sind außerdem Mitarbeiterinnen bzw. Kundinnen eines Fitnessclubs. Sie gehören zu einer spirituellen Yoga-Gruppe. In ihrer Inszenierung hat diese Gruppe durchaus sektenähnlichen Charakter. Geht man allerdings von der Einordnung der Opfer in diese Gruppe aus, um dort einen Zusammenhang mit dem Mord zu suchen, handelt es sich um eine weitere dramaturgische Finte. Der Club ist lediglich ein Ort der Zusammenkunft für die Frauen. Vermutlich lernten sie sich dort kennen und tauschten sich auch irgendwann über sexuelle Themen aus. Außerdem sind sie Nachbarinnen. Ihr direktes Umfeld, ist die Heddernheimer Siedlung: neuere weiße Reihenhäuser mit kleinen Gärten in verkehrsberuhigter Zone. Es ist eine typische Siedlung für junge Familien, wo die gute Nachbarschaft als Gegenteil der Anonymität vorherrscht. In der Gegensätzlichkeit dieser beiden Milieus wird auch die Funktion des bereits beschriebenen dramaturgischen Bogens um den heimlichen Videofilmer deutlich.

Die Frauen wollen aus dem eintönigen Hausfrauendasein ausbrechen und das ist der Schlüssel der Geschichte. Sie suchen etwas Geheimnisvolles wie das spirituelle Yoga oder etwas Verruchtes wie Sadomasochismus. Steffi Dellwo ist mit ihrer Ehe unzufrieden. Sie gibt zwar zu, Fritz noch zu lieben und auch keinen anderen zu haben, aber trotzdem verschwindet sie plötzlich für zwei Wochen nach Lanzarote und möchte danach ausziehen. Dellwos Kollege Fromm beruhigt ihn, das sei normal. Später wird klar, dass auch sie mit dem Mörder verkehrte. Es scheint, als langweilten sich diese Frauen in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter und in ihrer weißen, verkehrsberuhigten Umgebung. Die „insgeheime[n] Wünsche der Zuschauer“ (Hickethier 1985, S. 190) werden hier angesprochen, allerdings – und das ist ungewöhnlich – nicht aus der Perspektive der Täter, sondern Opfer. Die Motivation des Täters ist dagegen sehr einfach benannt und nicht weiter differenziert: er hat ein abnormes Sexualverhalten und ist als Serienmörder psychisch krank. Im Übrigen wird in Sängers Affäre mit einem verheirateten Mann deutlich, dass die Langeweile nicht nur die Frauen betrifft, sondern ebenso auch Männer, die dann fremdgehen.

Die typische Struktur des Krimis wird eingehalten, wenn auch der beschriebene thrillertypische Spannungsbogen dazukommt. Damit ist „Frauenmorde“ ein gutes Beispiel des Charakters der neuen HR-Tatorte, welche die Reihe durch Thrillerelemente ergänzen. Die vielen Möglichkeiten einer Verdächtigung und die zahlreichen gut inszenierten Finten machen diesen Tatort sehr sehenswert. Zusätzlich zur üblichen Moral der Täterperspektive „Verbrechen lohnt sich nicht“, der sich aus dem gescheiterten Versuch des Serienmörders ergibt, die Normen außer Kraft zu setzen, kommt aus der Opferperspektive eine Aussage dazu, die das langweilige Familiendasein in der Reihenhaussiedlung positiv hervorhebt und vor den Gefahren der Anonymität und vor allem der Gefahr, die positiv besetzte Familie zu verlassen warnt. Damit ist die Aussage dieses Tatorts dem besprochenen Irrlicht-Roman nicht unähnlich.

>> Tatort: „Frauenmorde“ (HR 2003) - Teil: I
>> Hörbuch-Tatort "Frauenmorde"